Feindesliebe in Kriegszeiten

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Mouhanad Khorchide über die Beziehung zum Feind in Zeiten von Krieg und Zerstörung.

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Mouhanad Khorchide über die Beziehung zum Feind in Zeiten von Krieg und Zerstörung.

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Der Ruf des Islams wie auch von Christentum und Judentum zur Feindesliebe stellt uns vor eine große Herausforderung. Wie realistisch ist es, jemanden zu lieben, der einen verletzt hat oder der sogar daran arbeitet, einen zu zerstören? In der Bergpredigt sagte Jesus: „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ (Mt 5,44-46) Ähnliches sagte der Prophet Mohammed zu seinen Gefährten: „Unterstütze deinen Mitmenschen, wenn ihm Unrecht geschieht, aber auch, wenn er im Unrecht ist.“ Da fragten seine Zuhörer verwundert: „Dass wir jemanden unterstützen, weil ihm Unrecht geschehen ist, verstehen wir, aber wie sollen wir jemanden unterstützen, der anderen Unrecht tut?“ Mohammed antwortete darauf: „Du hilfst deinem Mitmenschen, wenn er im Unrecht ist, indem du ihn davon abbringst.“

Dies mag auf individueller Ebene nachvollziehbar zu sein, aber wie sieht es aus, wenn es um Krieg geht? Wenn also ein Land ein anderes okkupieren und zerstören will? Einige meinen, mit Feindesliebe sei hier gemeint, die Menschen eines angreifenden Landes nicht pauschal zu verurteilen, denn auch sie seien lediglich Opfer von repressiven Regimen. Sind aber nicht gerade diese repressiven Regime mit der Feindesliebe gemeint? Viele würden auch zu Recht sagen: „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, jemanden wie Putin zu lieben.“ Liebe als Abhalten von unrechtem Handeln zu verstehen, ist nur dann nachvollziehbar, wenn dieses Abhalten ebenfalls mit Mitteln der Liebe und des Friedens geschieht. Vielleicht kann die Feindesliebe ihren Ausdruck darin finden, einen nicht vermeidbaren Verteidigungskrieg möglichst rasch und mit möglichst wenigen Verlusten für alle Beteiligten zu beenden.

Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster.

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