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Bergpredigt zielt auf „Entfeindung"

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„Friede Christi - Friede der Welt" lautet das Thema der am 13. und 14. November in Wien stattfindenden Studientagung zum Katholikentag. Eine gründliche Debatte ist zu erhoffen.

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„Friede Christi - Friede der Welt" lautet das Thema der am 13. und 14. November in Wien stattfindenden Studientagung zum Katholikentag. Eine gründliche Debatte ist zu erhoffen.

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Einer der schönsten Abschnitte im Neuen Testament ist zweifelsohne die Bergpredigt, die mit Recht auch zu den Meisterwerken der Weltliteratur gehört. Das Malheur dabei ist nur, daß sie ihren Lesern einen Weltrekord an Moralität zuzumuten scheint, der den Durchschnittsmenschen bei weitem überfordert.

Alles schön und gut, seufzt jeder redliche Zuhörer, aber das ist doch für Heilige zugeschneidert, nicht für arme Schlucker wie unsereiner! Da aber Jesus, der Menschenkenner, sicherlich wußte, daß nur sehr wenige imstande sind, seinen Aufrufen Folge zu leisten, fragten sich schon die Kirchenväter, was er wohl mit dieser Predigt beabsichtigt habe.

Es gibt vier hauptsächliche Fehldeutungen, die die Bergpredigt noch immer unentwegt begleiten. Die erste kann man die perfektionistische Auffassung nennen. Sie sieht in der Bergpredigt eine Liste von Supergeboten, die klipp und klar sagen: Dies alles mußt du tun, damit du selig wirst!

Die zweite- ist die Theorie der Unerfüllbarkeit, die davon ausgeht, daß alle diese Forderungen eigentlich übermenschlich sind und nur den Zweck haben, dir deine eigene Unzulänglichkeit einzubleuen: All dies solltest du tun, du jämmerlicher Schwächling, aber du kannst es ja nicht, wie du selber weißt. Also bedarfst du der Gnadenliebe Gottes für alles, was du unternimmst!

Die dritte Theorie kann man als Torschlußpanik bezeichnen. Sie sieht in der Bergpredigt einen Aufruf zur äußersten Anstrengung, bevor die Katastrophe des Jüngsten Gerichts anbricht: Nun reiß' dich ein letztes Mal zusammen, du armer Teufel, bevor es zu spät ist!

Die vierte Deutung vergleicht die Imperative der Bergpredigt mit der nüchternen Realpolitik der letzten viertausend Jahre Weltgeschichte und kommt mit einem Seufzer der Erleichterung zu dem Schluß, daß sie auf einer moralischen Schwärmerei beruht, die man getrost als Utopie abschreiben kann.

Mir scheinen alle vier Deutungen verfehlt, denn sie berücksichtigen die beiden Grundzüge der jesuanischen Lehre nicht: das vollkommene Ernstnehmen Gottes, das ihn mit heiliger Ungeduld für alle Halbheiten beseelt, und sein Realismus als der eines profunden Menschenkenners, der zwar radikale Theopolitik betreibt, aber mittels pragmatischmachbarer Methoden, die keinen nüchtern denkenden Menschen überfordern.

Dies gilt vor allem für die beiden Spitzenaussagen jesuani-scher Ethik, deren erste als die sogenannte „Feindesliebe" bekannt geworden ist: „Ihr habt gehört, daß gesagt ist: Liebe deinen Nächsten und hasse deinen Feind! Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet!" (Mt 5,43ff).

Die katholische „Jerusalemer Bibel" schreibt betreffs des angeblich gebotenen Feindeshasses: „Der zweite Teil dieses Gebotes steht... nicht im Alten Gesetz, kann hierin auch nicht stehen." (Herder 1968, S. 21). Noch klarer ist Engelbert Stauffer, der dank seiner berühmten „Entjudung" Jesu seiner Lehre über jeden Verdacht des Philosemitismus erhaben ist: ,

„Mit Recht hat die Synagoge seit jeher gegen Mt 5,43 protestiert. Es gibt kein Gesetz, das den Feindeshaß vorschreibt, weder im Alten Testament noch im Talmud" („Die Botschaft Jesu", Bern 1959, S. 126).

Die Erklärung, die erst bei der Rückübersetzung ins Hebräische zutagetritt, besagt: Hier wird weder Sympathie für Feinde noch Selbstaufgabe gefordert, sondern „das Tun" - eine der häufigsten Vokabeln im jesuanischen Vokabular. In der Tat steht im Gebot der Nächstenliebe (Lev. 19,18) nicht: „Liebe deinen Nächsten!" im Akkusativ, sondern im Dati-vus Ethicus - eine Wortfolge, die im Deutschen kaum übersetzbar ist, nämlich:

„Liebe deinem Nächsten wie dich selbst!" Oder besser gesagt: „Leb* ihm zuliebe, nicht zuleid!" Was besagen will, daß nicht eine Herzensregung noch Empfindungen gefordert werden, sondern praktische Liebeserweise, wie etwa Krankenbesuche, das heimliche Geben von Almosen, das Trösten der Trauernden, Brot für die Hungernden - all die praktischen Liebeserweise, die in Taten münden.

Da Jesus in parallelen Kontrastpaaren und rhetorischen Antithesen zu predigen liebte, muß daher auch die Steigerung „Liebe deine Feinde!" im ursprünglich semitischen Wortlaut den Dati-vus Ethicus beinhaltet haben, der keineswegs zur Feindesliebe auffordert, sondern zum versöhnlichen Umgang mit dem Gegner, der seine „Entfeindung" bezweckt: Sie zielt darauf, daß der Feind aufhört, ein Feind zu sein.

Daß es Jesus um die „Entfeindung" durch tatkräftige Versöhnlichkeit geht, keineswegs aber um schwärmerische Selbstpreisgabe, bezeugt ein Vers kurz zuvor: „Wer dich nötigt, eine Meile weit zu gehen, mit dem gehe zwei" (Mt 5,41).

Gemeint war natürlich der berüchtigte Frondienst der Römer, der es jedem Legionär erlaubte, Sack und Pack einem vorbeieilenden Juden aufzuladen, um ihn eine Meile lang, als Lasttier zu mißbrauchen (vgl. Simon von Cyrene, Mk 15,21).

Am Ende dieser Strecke konnte der Jude dem Zwingherrn sein Gepäck vor die Füße werfen und entfliehen. Jesus schlägt vor, den Frondienst nach der Vorschriftsmeile in freiwilliges Geleit zu verwandeln, um den erstaunten Römer durch Zuvorkommenheit zu entwaffnen...

Der Verfasser ist jüdischer Bibelwissenschafter in Frankfurt/Main.

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