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Der Friede fängt bei einem jeden an

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Der Friede ist heute in aller Munde. Für den Frieden ziehen heute Hunderttausende Menschen auf die Straße. Ich frage mich manchmal, warum man eigentlich nur bis hin zu einem bestimmten Längengrad für den Frieden demonstriert und in den Städten jenseits nicht mehr? Aber was soll’s? Es geht um den Frieden, und das ist eine ganz bitterernste Sache!

Im Zusammenhang mit dem Frieden haben viele die Liebe zur Hl. Schrift entdeckt. Und vor allem zur Bergpredigt: die Bergpredigt als Grundlage der Menschenrechte; die Bergpredigt als das Programm der Wehrdienstverweigerer; die Bergpredigt als Maxime der Gewaltlosigkeit.

Was bedeutet die Seligpreisung der „Friedensstifter“ wirklich für das so wichtige Problem des Friedens? Es geht hier nicht um friedfertige Menschen, sondern um Friedensstifter! Es sind also nicht jene Passiven gemeint, die den Frieden gleichsam erleiden wollen. Auch nicht jene, die. den Frieden nur von anderen fordern. Im griechischen Text lesen wir: „eirenopoioi“, das heißt: „Friedensmacher.“ Im Hebräischen steht dafür dasselbe Wort, das wir am Anfang der Schöpfungsgeschichte lesen: ,Jm Anfang machte Gott, im Anfang schuf Gott Himmel und Erde." (Gen 1,1) Es geht also um etwas, das man eigens schaffen muß!

Aber wie soll das gelingen, wie können wir das erreichen? Der Friede läßt sich nicht verwirklichen, läßt sich nicht schaffen, wenn man sich nicht auch bemüht, nach den anderen Seligpreisungen zu leben! Man kann hier nicht wie in einem Krämer laden sich die eine aussuchen und die anderen im Regal lassen.

„Selig, die arm sind vor Gott“: Das ist die allerwichtigste Seligpreisung, von der her die anderen zu verstehen sind. Es ist kein billiger Trost für jene zwei Milliarden Menschen, die unter dem Existenzminimum leben. Arm sein vor Gott heißt: persönlich frei zu

werden, an nichts zu hängen. Haben, als hätte man nichts, haben, um zu teilen, haben, um zu verschenken. Und diese Grundhaltung ist eine unaufgebbare Voraussetzung für den Frieden in der Welt.

Alle Friedensbeteuerungen sind unehrlich, wenn man nicht gleichzeitig auf die Not der anderen schaut, auf das krasse Nord- Süd-Gefälle hinsichtlich des Lebensstandards und der Güterverteilung. Arm vor Gott ist, wer bereit ist, etwas aufzugeben, etwas

von seinem Lebenstandard, etwas von seiner Sicherheit, etwas von der eigenen Überlegenheit.

„Selig die Barmherzigen!“ Um Frieden schaffen zu können, muß man auch barmherzig sein. Muß man mit anderen mitleiden können, ihnen verzeihen können. Wenn die Kinder für die Sünden ihrer Väter verantwortlich gemacht werden und die Väter es nicht dulden, daß ihre Kinder ganz neue, unbelastete Wege aufeinander zugehen, wird es keinen Frieden geben. Wo Rassenhaß verewigt wird und alte Formen des Kolonialismus durch neue ersetzt werden, fehlen die Voraussetzungen für dauernden Frieden.

Frieden schaffen kann ferner nur der, der auch „hungert und .dürstet nach Gerechtigkeit". Es ist nicht jene eiskalte Justitia der Römer gemeint, jene Göttin mit der Waagschale und den verbundenen Augen, die blind richtet, ohne dem anderen ins Gesicht zu schauen. Gerechtigkeit im Sinn der Bergpredigt ist viel mehr. Jesus meint damit Gerechtigkeit und Güte und Liebe, alle drei zusammen!

Verzeihen Sie, wenn ich jetzt ein wenig indiskret werde: Haben Sie schon einmal nachgedacht, was Sie dem anderen neben Ihnen schuldig sind, was ihm gebührt? Ihrer Gattin, Ihren Kindern, Ih

ren Mitarbeitern, aber auch Ihrem Chef? Was dem gebührt, der einsam und verlassen im selben Stockwerk mit Ihnen wohnt? Aber auch jenem, den niemand mehr mag und der Ihnen fürchterlich unsympathisch ist?

„Selig, die keine Gewalt anwenden!“ Das sind die Ohnmächtigen im Sinn der Schrift, die Kleinen, die Hilfe von anderswo erwarten. Die Schrift denkt hier vor allem an zwei große Frauen: an Hanna, die Mutter Samuels, und an Maria, die Mutter Jesu, von denen es fast mit gleichen Worten im Lied heißt: „Die Mächtigen stürzt er vom Thron und erhöht die Niedrigen!“ (Luk 1,52; Sam 2,8) Das sind jene, die „das Land erben“ sollen.

Fast wie von selbst fällt uns hier noch eine Seligpreisung ein: „Selig, die ein reines Herz haben!“ Ja, letztlich geht es auch um die Aufrichtigkeit. Um das Sein und um das Reden ohne Trug und ohne Geltungsdrang und ohne versteckte Absicht.

Aufrichtigkeit, Durchsichtigkeit, Zugeben der eigenen Absicht, das scheint gerade dem zu widersprechen, was man heute gemeinhin unter Diplomatie versteht! Aber wie kann es dann zu einem ehrlichen Frieden kommen, wenn der andere nicht weiß, worum es geht, was ihm geschehen soll, worauf er sich verlassen kann.

Wir Christen wissen, daß die Gewaltlosigkeit eine Haltung ist, die die Bergpredigt dem einzelnen als möglich, zuweilen vielleicht als verpflichtend vorstellt. Wir wissen aber auch, daß selbstlose Gewaltfreiheit, gewaltfreies Handeln, den anderen in Versuchung führen kann, mit selbstsicherer Gewalt zu antworten. Es gibt also sicher Situationen, in denen man sogar durch den Einsatz des eigenen Lebens zur Verteidigung aufgerufen sein kann: zur Verteidigung des Lebens unmündiger Kinder, einer schutzlosen Bevölkerung, zur Verteidigung der Freiheit und Unabhängigkeit eines Volkes und eines Landes.

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