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Was werden meine Spezi sagen?

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Diese jungen Leute von der Katholischen Arbeiterjugend bringen einen gestandenen christlichen Politiker tatsächlich zum Bibel-Lesen. Sie wollen mit mir über die Bergpredigt diskutieren. Ich halte diese Predigt zwar für idealistisch überdreht, aber die KAJler wollten sich mit mir über dieses Thema und kein anderes auseinandersetzen. Ich bin nie aus der Kirche ausgetreten, eine Bibel habe ich mir trotzdem erst heute gekauft, weil ich die Bergpredigt lesen muß, bevor ich morgen darüber rede. Da hat die Dom-Buchhandlung wenigstens ein kleines Geschäft gemacht.

Vorsichtshalber fragte ich den Verkäufer, ob die Bergpredigt auch in der Ausgabe der Deutschen Bibelgesellschaft enthalten ist. Man kann ja nie wissen, ob der Franz Josef Strauß nicht doch eine gereinigte bayerische Bibelausgabe ohne Bergpredigt durchgesetzt hat. So etwas wäre wahrscheinlich eh das Beste. Mit Hilfe des Abteilungsleiters haben wir dann die Bergpredigt tatsächlich gefunden, bei Matthäus Kapitel 5 bis 7.

Und jetzt sitze ich da in meinem Wohnzimmer, verzichte auf mein ursprünglich geplantes Fernsehkrimi-Vergnügen und lese tatsächlich die Bibel. Wenn ich das am Stammtisch erzähle, werden sich meine Spezi derkugeln vor lauter Lachen. Aber ich werde ein Bekenner sein und ihnen sagen, daß ich — wie gesagt — nie aus der Kirche ausgetreten bin, weil ich aus der Geschichte gelernt habe. Ich kann mich noch genau erinnern, welche Schwierigkeiten mein Vater nach dem Krieg hatte, nur weil er in der großdeutschen Zeit aus der Kirche ausgetreten ist. Sonst hat er nichts angestellt, er hat seine Pflicht als Soldat erfüllt.

Eigentlich ist sie sehr lang, diese berühmte Bergpredigt, fast so lang wie meine Versammlungsreden. Den Anfang kann ich nur unterstreichen: Hinwendung zu Gott ist wichtig. Ich werde den KAJ- lern sagen, ich hätte seit zwanzig Jahren keine Fronleichnamsprozession versäumt. Bei den fünf letzten Prozessionen durfte ich als christlich-sozialer Mandatar gleich hinter dem Himmel gehen. Hinwendung zu Gott und das Gebet ist wichtig.

Aber was ER da über das Beten sagt, halte ich für übertrieben. Im Verborgenen soll man beten, nicht wie die Scheinheiligen öffentlich in der Synagoge, verlangt ER. Das mag für gewöhnliche Christen gelten, aber nicht für Katholiken mit einer öffentlichen Funktion. Die Vorbild Wirkung darf nicht unterschätzt werden. Wenn ein hoher Mandatar wie ich hinter dem Himmel geht, bei einer Feldmesse am Staatsfeiertag betet oder vor dem Papst gerührt in die Knie fällt, dann wirkt er als christliches Vorbild.

Da schau her, ich hab’ gar nicht gewußt, wie alt das „Vater unser“ ist. Jesus hat uns įn der Bergpredigt so zu beten gelehrt. Alle Achtung! Wenn in der Bergpredigt nichts anderes stünde als dieses Gebet, war’ es schon genug. Hunderte Millionen Gläubige in aller Welt beten dieses Gebet. Da könnte sich die Partei eine Scheibe abschneiden. Bei uns. wird nie und nimmer nachgebetet, was unser Vorsitzender predigt, ganz im Gegenteil.

Die KAJ-Diskussion wird wohl lange dauern. Wie ich unsere jungen Freunde kenne, nehmen sie jedes Bibelwort ernst und wollen justament die Bibelethik als Leitmotiv politischen Handelns sehen. Als ob seit der Bergpredigt nicht schon zweitausend Jahre vergangen wären. ER strapaziert wirklich alles und predigt vom Mord, vom Ehebruch und von der Ehescheidung. In unseren Kreisen kommt ja Ehescheidung ohnehin nicht in Frage. Aber etwas sexuelle Freiheit braucht auch der christliche Mensch zur Selbstverwirklichung. Wir brauchen auch keine Angst vor Aids zu haben, wir gehen ja nicht auf die Straße. Am Stammtisch werde ich meine Spezi unter dem Siegel der Verschwiegenheit fragen, wer sich von der Bibel eine Freundin hat ^verbieten lassen. Auch wir Katholiken müssen mit der Zeit gehen, am meisten schadet uns der Geruch des Ewig-Gestrigen.

Hätte ER die heutige Situation gekannt, wäre die Bergpredigt unter Garantie anders ausgefallen. Da lese ich einen Satz von IHM wörtlich: „Wenn dich einer auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch die linke hin.“ Eine solche Haltung tat die Russen aber sehr freuen. Da hätten wir die Freiheit schon längst verspielt.

Die militärische Stärke, die Rüstungskraft des Westens hat den Frieden gesichert, nicht fromme Bibelsprüche von der Gewaltlosigkeit. Die Politiker aller Parlamentsparteien, ausgenommen ein paar grüne Spinner, stimmen in dieser Auffassung überein. Auch wir brauchen ein starkes Bundesheer mit einer leistungsfähigen Luftwaffe. Selbst der Krainer wehrt sich gegen die Draken nicht mit Bibelsprüchen oder aus einer pazifistischen Irrmeinung, sondern einfach weil die Draken ihm zu laut sind und weil der Mock die Draken kaufen will. Die Bergpre digt hat da keine Funktion.

In der Bergpredigt meint ER auch: „Wenn du jemand hilfst, häÄg es nicht an die große Glok- ,ke.“Da meinte er bestimmt nicht uns Politiker. Wenn ich helfe, muß ich darüber reden, wie sonst soll ich meine Stimmen für die nächste Wahl kriegen. Der Haider ist das beste Beispiel für die Wichtigkeit des bloßen Redens; er tut nichts und redet darüber, was ihm nachweislich Stimmenzuwachse bringt.

Wie weltfremd ER in der Bergpredigt ist, beweist sein Versprechen, der Vater im Himmel werde alle mit Essen und Trinken und

Kleidung versorgen, niemand brauche sich darob Sorgen machen. Das ist nicht mehr zeitgemäß, solches Denken erzieht Sozialschmarotzer. Unseren Lebensstandard verdanken wir der Sozialen Marktwirtschaft, nicht biblischen Wahrheiten.

Warum läßt Gottvater so viele Kinder in sogenannten Entwicklungsländern verhungern? Da kann der liebe Gott ja nichts dafür. Die Hottentotten und Neger sind einfach zu faul, um zu arbeiten. Und die Milliarden unserer Entwicklungshilfe versickern in der Korruption, da kaufen sich die Stammeshäuptlinge Luxusautos, die größer sind als die uns- rigen.

Aber das werde ich besser übermorgen bei meinem Vortrag im liberalen Klub sagen. Morgen bei der KAJ ist ein Bekennerwort am Platz, etwa daß ich in meinem Fühlen, das ein Mitfühlen ist, und in meinem politischen Handeln, das ein christliches Tun ist, fest auf dem Boden der Bergpredigt stehe.

Der Autor ist Bundesminister a. D. und ehemaliger Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialismus (ACUS).

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