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Wie klein ist doch euer Vertrauen …

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„Uber die Bergpredigt wird wieder gestritten. Sie ist endlich dort, wo sie hingehört: In der Öffentlichkeit“ — schrieb der deutsche Publizist und Friedensbewegte Franz Alt vor etwa drei Jahren. Er schrieb dies kurz nachdem der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt und sein Verteidigungsminister Hans Appel in diversen Reden den zunehmenden Pazifismus beklagt hatten und unisono meinten: „Die Bergpredigt in ihrer Totalität ist nur für Bettelmönche praktizierbar. Mit der Bergpredigt Politik zu machen ist unmöglich.“

Diese Meinung wird von vielen geteilt, immer noch geteilt. Sie sind der festen Überzeugung, daß diese Kernbotschaft jesuanischer Ethik, wenn überhaupt irgendwohin, dann ins stille Kämmerlein privater Frömmigkeit gehöre. Und alle Politiker, die die Macht haben und Macht hatten in den vergangenen 1950 Jahren, seit dieser jüdische Störenfried wegen „Anstiftung zum Frieden“ hingerichtet worden ist, auf dem Kreuz über Golgatha, regierten, übten Macht aus, als wären diese Worte nie gesprochen worden. Die Kirchenführer taten es ihnen gleich. Sie führten zwar die Worte im Munde und tun es noch, aber ins ‘Leben, in die Realpolitik der Kirche fanden sie keinen Eingang.

Das Ergebnis dieser Politik ohne den Geist der Bergpredigt ist heute für jeden, der nicht blind sein will, erkennbar: Wir leben auf Kosten künftiger Generationen sowie auf Kosten der Menschen in der südlichen Hemisphäre und bereiten militärisch das Ende der Schöpfung vor. Die Bergpredigt ist fast 2000 Jahre alt, wird immer zitiert, spielt aber in der politischen Praxis überhaupt keine Rolle, und das ist es wohl, was dazu geführt hat, daß die Welt heute so ausschaut wie sie ausschaut — und es wird wohl keiner zynisch genug sein, auch noch zu behaupten, sie schaue gut aus.

Die tiefe Krise — es könnte auch die letzte sein -, in der die Menschheit heute steckt (und ihre Symptome sind hier bei uns in Kirche und Gesellschaft ebenso deutlich zu sehen wie anderswo), hat doch endlich dazu geführt, daß die Bergpredigt — wohl meist noch unter vorgehaltener Hand — wieder ausgegraben wird, und siehe da — sie ist lebendig und aktuell wie je. Und dazu schreibt zum Beispiel der Theologe Jürgen Moltmann:

„Ohne Bergpredigt gibt es keine humane Regierung. Ohne Bergpredigt gibt es auch keine humane Revolte gegen Unrecht und Ausbeutung. Ohne den gekreuzigten Bergprediger und ohne Menschen, die ihm — und nicht seinen Feinden — nachfolgen, gehen die Lichter aus, geht diese Welt im Teufelskreis des Vergeltens kaputt: das Leichenschauhaus der Geschichte beweist es.“

Und das begreift heute nicht nur einer, sondern das begreifen langsam immer mehr Menschen. Wenn es aber oben, auf dem einsamen Gipfel der wirtschaftlichen und politischen Macht noch nifcht verstanden wird, dann könnte das wohl daher rühren, daß die Bergpredigt nicht etwa zu esoterisch und utopisch, sondern daß sie viel zu politisch ist. Und Tatsache ist ja, daß die Ethik Jesu ja sehr stark in der Realpolitik des Alltags eines unterdrückten Landes wurzelte. Wenn also diese Art Politik verwirklicht würde, dann würde dies wohl die französische, amerikanische und die russische Revolution in ihrer Tragweite in den Schatten stellen, was das Potential an Veränderung, nicht was den Blutzoll betrifft.

„Diese Veränderungen wären politisch im vollen Sinn einer aktiven Teilnahme an der Führung des Gemeinwesens und revolutionär im Sinne einer radikalen Änderung aller Herrschaftsstrukturen, die die alten Bindungen durch eine völlig neue Form menschlichen Miteinanders ersetzen würde“ — schreibt der jüdische Theologe Pinchas Lapide.

Er fährt fort: „Es spricht alles dafür, daß die Bergpredigt heute, wie kaum zuvor, in unsere weltge schichtliche Stunde hineinspricht. Wer die heutigen politisch-militärischen Realitäten konsequent durchzudenken wagt, kann kaum umhin, das Ethos Jesu, das die Interessen des Gegners den eigenen gleichstellt, als vernünftig anzuerkennen.

Unvernünftig hingegen wäre der normale Egoismus, das uralte Freund-Feind-Denken und die altgewohnte Aufrechnung wie- du-mir-so-ich-dir. Die Fülle der Vernunft besteht also heute darin, die .Goldene Regel1: .Alles was ihr wollt, das euch die Menschen tun, das tut auch ihnen — aus den Gotteshäusern in die Parlamente und Außenämter zu tragen. Nächstenliebe und Entfeindungsdienst sind heute keine frommen Wünsche mehr, sondern das dringliche Diktat einer unaufschiebbaren Ausgleichsstrategie.“

Ich glaube also, wenn wir heute unsere Lage nüchtern analysieren und die Konsequenzen bedenken, die eine Weiterführung des bisherigen politischen Stils bringen — nicht würde — sondern zweifelsfrei bringen wird, dann hieße mein Postulat: „Politik ist heute nur noch mit der Bergpredigt möglich.“

Die Autorin ist Stadtrat in Wien.

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