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Auch Gewalt? Je nachdem..,

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Betrachtet man das Problem der Gewaltlosigkeit aus theologischer Sicht, so kann man dies sicher nicht ohne Bezug auf die Hl. Schrift. Jedermann kennt die Stelle der Bergpredigt, die zum Standardrepertoire der Verfechter der Gewaltlosigkeit gehört:

„Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist: Aug um Aug, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Ihr sollt dem Bösen nicht widerstehen, sondern wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, so halte ihm auch die andere hin." (Mt 5,38 f.) Wer ein wenig in der Hl. Schrift zu Hause ist, weiß, daß dieses Wort nicht buchstäblich zu verstehen ist. Der Herr selbst hielt sich vor dem Hohen Rat (Joh 18, 23) nicht wörtlich an das, was er in der Bergpredigt seinen Jüngern gebietet.

Dennoch ist dieses Wort keine bloße Übertreibung, sondern will eine ganz bestimmte Wahrheit ausdrücken: Unter Menschen ist es nicht immer grundsätzlich möglich, Rechte, die zu Unrecht angegriffen werden, mit Gewalt zu sichern. Unter Menschen besteht grundsätzlich die Möglichkeit, Unrecht hinzunehmen, ohne Widerstand zu leisten. So sagte der Herr zu Petrus:

„Stecke dein Schwert in die Scheide. Denn alle, die zum Schwert greifen, kommen durch das Schwert um. Oder meinst du, daß ich meinen Vater nicht bitten könnte, und er würde mir sogleich mehr als zwölf Legionen zu Hilfe senden?" (Mt 26, 52ff.)

Mit dieser Schriftstelle ist jedoch die Gewaltlosigkeit keineswegs schlechthin anempfohlen oder gar zur Pflicht erhoben. Der Herr läßt durchaus die Möglichkeit offen, daß zur Durchsetzung eines Rechts Gewalt angewendet werden könnte.

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wird auch innerhalb der katholischen Kirche ein Pluralismus von Lehrmeinungen vertreten, wie er in einem solchen Ausmaß bisher unbekannt war. Nicht wenige Verfechter der Gewaltlosigkeit berufen sich gern auf den Geist der Urkirche, den es zu erneuern gelte.

Der Völkerapostel Paulus aber schärft zwar im Römerbrief (12, 17-21) entsprechend der Bergpredigt das Gebot des Nichtwiderstehens ein, dennoch spricht er im folgenden 13. Kapitel dem Staat das Recht zu, gegen Missetäter gewaltsam vorzugehen ...

Die beiden ersten christlichen Jahrhunderte kannten allein deswegen kaum christliche Soldaten, weil die Christen vom staatlichen Leben ausgeschlossen waren. Der heidnische Staat betrachtete sie als Staatsfeinde und verfolgte sie.

In einem Brief an den Statthalter Nordafrikas, Bonifatius, weist Augustinus die Behauptung zurück, niemand, der Waffendienste leiste, könnte Gott gefallen: David und andere Gerechte des Alten Bundes hätten auch Kriegsdienst geleistet. Der Hauptmann von Kapharnaum sei von Christus wegen seines Glaubens gelobt und nicht wegen seines Berufs getadelt worden. Der Hauptmann Kornelius, nach dem sich bekanntlich die evangelische christliche Offiziersvereinigung nennt, werde als gottesfürchtig geschildert...

Im christlichen Raum gab es allerdings auch eine pazifistische Strömung, deren hauptsächliche Vertreter Montanisten und Novatianer waren, sittenstrenge, aber schwärmerische Sektierer...

Nach dem Konzil haben einige kirchliche Würdenträger ihre persönliche Auffassung über Krieg, Frieden und Verteidigungsfragen in einer Weise publik gemacht, die den Anschein erwecken mußte, die katholische Kirche habe hier eine Kehrtwendung vollzogen. So erklärte Kardinal Alfrink 1974, Atomwaffen seien in sich unsittlich. Doch das Konzil hat es ausdrücklich abgelehnt, Atomwaffen als in sich unsittlich zu qualifizieren.

Zwei Jahre nach den Äußerungen Kardinal Alfrinks über die angeblich grundsätzlich unsittlichen Atomwaffen erschien am 6. November 1976 in der österreichischen „Furche" ein Artikel Kardinal Königs über „Die Zukunft der Menschheit". In diesen Ausführungen heißt es wörtlich:

„Angesichts des totalen Krieges ist das Konzil jedoch kategorisch. Es verurteilt auf radikale Weise die Anwendung der Massenvernichtungswaffen. Dies ist sogar die einzige .Exkommunikation', die sich in seinen Texten findet. Da der Rüstungswettlauf auch in neuester Zeit immer wieder mit dem Hinweis auf die legitime Verteidigung gerechtfertigt wird, sagt nun dieses Dokument von hoher kirchlicher Autorität mit aller Deutlichkeit, daß er selbst im Namen der legitimen Verteidigung nicht gerechtfertigt werden kann. Wo Massenvernichtungswaffen zur Anwendung gelangen, ist das Recht auf Verteidigung nur noch ein Recht zu gewaltfreiem Widerstand."

Begreiflicherweise gab es wegen dieser Aussagen erhebliche Beunruhigung unter den Soldaten. Es kam zu Briefwechseln und persönlichen Begegnungen mit dem Kardinal, da seine Worte mit den Erklärungen des Konzils nicht in Einklang zu bringen waren.

Im Gespräch mit führenden Offizieren des österreichischen Bundesheeres erklärte der Kardinal, er wolle den Passus über die Verteidigung als Utopie verstanden wissen. Es gehe nicht um die unmittelbare Gegenwart, sondern um eine anzustrebende Haltung der Christen in der Zukunft.

In letzter Zeit propagiert man gern den Traum vom gewaltlosen Widerstand. Abgesehen davon, daß sich weder in der Geschichte noch in der Gegenwart der geringste Anhaltspunkt dafür findet, daß solche Vorstellungen realisierbar sein könnten, suchen bestimmte Kreise ihre schwärmerischen Auffassungen immer wieder als kirchliche oder sogar einzig mögliche christliche Haltung auszugeben..;

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