Corona: Dumme Zuversicht
Über die Art von Angst, die in Corona-Zeiten dringend benötigt wird.
Über die Art von Angst, die in Corona-Zeiten dringend benötigt wird.
Die Corona-Diskussion taumelt manchmal ins Surreale. Manche ängstigen sich vor den Ängsten: Die Regierung habe Panik verbreitet, die Menschen würden psychisch malträtiert, der Wiedergewinn der Normalität werde unnötig behindert. Für die Zuversichtspropagandisten, quasi-intellektuell aufgepeppte Verschwörungstheoretiker, war ohnehin das Epidemieproblem grob übertrieben und die Lockerung zu langsam. Sie plädieren für Optimismus: Man müsse den Menschen Zukunftsvertrauen vermitteln, sonst gehen sie nicht einkaufen.
Die meisten Menschen waren nie von Ängsten gebeutelt. In der Anfangsphase war es eher schwierig, ihnen zu vermitteln, dass da draußen etwas „Ernstes“ zugange ist, und mittlerweile tendiert die Mehrheit ohnehin zur blinden Zuversicht. Wochenlang musste man den Eindruck gewinnen, es gäbe kein dringenderes Problem in Europa als die Sicherung des ferialen Zugangs zum Mittelmeer. Lignano ist Menschenrecht. Alles vorbei, es wird wieder gefeiert und geurlaubt.
Es gibt zum einen eine vernünftige, begründete Sorge um den Arbeitsplatz, um Betriebe, um Einkommen, um Kinder. Zum anderen ist die Epidemie nicht vorbei, man wird sich mit bestimmten Beschränkungen arrangieren müssen, man muss mit unvorhergesehenen „Explosionen“ rechnen, die rasch wieder in Exponentialfunktionen münden können. Dumme Angst wäre lähmend und destruktiv. Der dumme Optimismus ist derzeit jedoch die größere Gefahr. Eine Unbesonnenheit, welche nicht nur die eigene Person gefährdet, sondern auch die Mitmenschen. Da schlägt der Hedonismus in Asozialität um. Angemessen sind Aufmerksamkeit, Sorgsamkeit, Risikokalkül, Vorsicht, Hausverstand.
Wenn man das Angst nennen mag, dann brauchen wir sie dringend.
Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz.