Solidaritätsbewusstsein

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Manchmal darf man beeindruckt sein, welch hohes Ausmaß an Altruismus und Solidarität bei den Menschen zu finden ist. Viele wollen, dass die systemwichtigen Menschen (von der Supermarktkassiererin bis zu den Pflegekräften) deutlich mehr verdienen. Sie wären also bereit, im Supermarkt (über die gegenwärtige Inflation hinaus) deutlich mehr zu bezahlen, und ebenso willig, die Sozialversicherungsbeiträge anzuheben – was ja auf die eigene Einkommensminderung hinausläuft. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung könnte sich dafür erwärmen, dass Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich deutlich reduziert (also die Stundenlöhne für alle um 20 Prozent angehoben werden). Da steckt viel Solidarität drinnen: Trotz der gegenwärtigen Preissteigerungen würden sie also die erhöhten Löhne bei Güterproduktion, Vorprodukten, Energie, Logistik bezahlen wollen, also über die Preise noch einmal eine Einkommensreduktion bis zu einem Fünftel akzeptieren.

Die Verfechter eines Grundeinkommens scheinen erst recht mutig. Mit diesen Modellen verbunden, ist doch die Abschaffung des gesamten Pensionssystems, der Arbeitslosengelder, der Förderungen für Kindergärten und Wohnungen und manch anderer Zuschüsse – zugunsten eines arbeitsbefreiten Existenzminimums für alle. An der Spitze der Altruismus-Skala stehen jene Weltbeobachter, die für eine Gleichverteilung der Ressourcen auf der Welt eintreten, um das Elend im globalen Süden zu beseitigen. Sie würden (gemessen am Sozialprodukt pro Kopf) gar einen Rückfall des eigenen Lebensstandards auf ein Viertel des gegenwärtigen hinnehmen; und das ist schon ein drastischer Beweis guten Willens. Ein immenses Solidaritätsgefühl. Skeptiker behaupten allerdings: Es ist nicht Solidarität. Es sind bloß Missverständnisse.

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Uni Graz.

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