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Kultur des Zufriedenseins

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Vielleicht kommt eines Tages ein amerikanischer Präsidentschaftskandidat, der sich den Bedürfnissen der sozial Schwachen wirklich verpflichtet fühlt. Und wenn sich die dann auch noch an den Wahlen beteiligten - dann hätte er vielleicht eine Chance...

Das schreibt John Kenneth Galbraith am Schluß seines neuen Buches über den wirtschaftlichen Niedergang Amerikas, das den deutschen Titel „Die Herrschaft der Bankrotteure" hat. Galbraith ist einer der anerkanntesten Wirtschaftswissenschafter unserer Zeit, er hat für US-Präsidenten Reden geschrieben (die erste 1940 für Roosevelt) und er war unter Kennedy zwei Jahre Botschafter in Indien.

Galbraith geht davon aus, daß die amerikanische Demokratie derzeit eine Demokratie der Wohlhabenden und Zufriedenen ist, die auch alle politischen Rechte haben. Diese zufriedene Oberschicht sei gegen jegliche Veränderung und Reform und ist einig im Widerstand gegen jegliche Veränderung. Ihre Interessen treffen sich mit denen eines autonomen militärischen Establishments, dem der Ökonom zwei Artikel seines Buches widmet.

Galbraith weiß, daß politische Reform einen wirtschaftlichen Wandel voraussetzt, und daß die verheerende Lage der von der Sozialhilfe lebenden Unterschicht in den USA auf längere Sicht die größte Gefahr für den inneren Frieden ist. Aber die „Ethik des Zufriedenseins" besteht darin, daß ihre Verfechter im eigenen Komfort das beste Gegenmittel gegen falsche Entwicklungen sehen. Die vom Schicksal weniger Begünstigten werden in dieser Demokratie ausgegrenzt oder grenzen sich selbst aus: 50 Prozent der Amerikaner wählen nicht. Außenpolitik wurde übrigens laut Galbraith im Zeitalter der Zufriedenheit „passiv und zum persönlichen Vergnügen" betrieben.

Wird der neue Präsident, Bill Clinton, diese Strukturen verändern können - wenn er es überhaupt will? Clinton hat es in seinem Wahlkampf verstanden, Unzufriedene zu aktivieren und die Zufriedenen nicht allzusehr zu vergrämen. Als Präsidentschaftskandidat hat er getrommelt, daß die Zeit für einen Wandel gekommen sei. Als Präsident wird man ihn daran messen, welche Veränderungen er tatsächlich bewirkt und ob es ihm gelingt, die politische Wirklichkeit Amerikas umzugestalten.

In seiner kleinen Welt Arkansas hat Bill Clinton als Gouverneur solche Änderungen schon versucht - und wurde auf seine Grenzen verwiesen. Die nächsten vier Jahre werden zeigen, ob er gelernt hat, wie man's geschickter macht - oder ob er nur die Erfahrung umsetzt, wie man sich geschickter anpaßt.

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