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Literatur der Empörung

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Die amerikanische Negerliteratur war bis vor wenigen Jahren noch ein eher unterentwickeltes Genre. Bis auf die große Ausnahmeerscheinung James Baldwin konnten sich schwarze Autoren auf dem internationalen Buchmarkt kaum durchsetzen. Die mangelnde literarische Aktivität spiegelte nur die sozialen Verhältnisse der Neger wider. Sie befanden und befinden sich im Ghetto, konnten kaum zu einer sozialen Identität finden, auch zu keiner spezifischen Sprache. Einzig in der Musik konnten sie ihre Kreativität entfalten. Der Roman „Night Song“ von John A. Williams scheint nun Ausgangspunkt einer literarischen Tradition der Negerliteratur zu werden.

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Die amerikanische Negerliteratur war bis vor wenigen Jahren noch ein eher unterentwickeltes Genre. Bis auf die große Ausnahmeerscheinung James Baldwin konnten sich schwarze Autoren auf dem internationalen Buchmarkt kaum durchsetzen. Die mangelnde literarische Aktivität spiegelte nur die sozialen Verhältnisse der Neger wider. Sie befanden und befinden sich im Ghetto, konnten kaum zu einer sozialen Identität finden, auch zu keiner spezifischen Sprache. Einzig in der Musik konnten sie ihre Kreativität entfalten. Der Roman „Night Song“ von John A. Williams scheint nun Ausgangspunkt einer literarischen Tradition der Negerliteratur zu werden.

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Hier wird zum ersten Mal die Musik des schwarzen Amerika zum literarischen Thema. Night Song ist die Lebensgeschichte eines schwarzen Jazzmusikers, der einst eine vielbejubelte Größe in seinem Fach war, dann aber teils durch unsaubere Manipulationen von Musikverlegem und schmutzigen Geschäftemachern, teils durch Rauschgiftsucht verkommt und in den Elendsvierteln von New York landet. Williams gelingt es auf beklemmende Weise, die sozialen Mißstände, Isolation und gesellschaftliche Unterdrückung der Neger darzustellen. Sie haben keine andere Chance, als sich anzupassen, sich den Weißen zu unterwerfen, oder in den Untergrund, in die Kriminalität zu flüchten. Hoffnungslose, zerstörte Existenzen, die keinen Ausweg mehr sehen und deshalb auch über keine moralischen Normen verfügen. Deshalb brechen immer wieder Emotionen auf, brechen Aggressionen aus, der ohnmächtige Zorn gegen eine ungerechte Gesellschaftsordnung macht sich Luft.

Williams hat auch zwei gestrandete Weiße in das Negermilieu verpflanzt, die von ihrer Umgebung ausgestoßen wurden, sich den Schwarzen, Unterdrückten, näher fühlen, sich mit ihnen solidarisieren wollen. Sie können die alten Vorurteile trotzdem nicht abbauen, fühlen sich auch unter den

Schwarzen als Fremde und erleben die sich plötzlich entladenden Aggressionen und Aversionen am eigenen Leib. Wüliams beschönigt nicht, kennt keine illusionäre Verbindung und Verbrüderung, kein kitschiges Happy-End, sondern er bleibt realistisch, bagatellisiert nichts.

Er hat auch zu einer eigenen Sprache gefunden, einem knappen, sachlichen Stil, der immer wieder auseinanderbricht, schneidend, brutal und zynisch wird. Wenn etwa mitten in friedlichen Betrachtungen sprachlich Brutalität ausbricht, Syntax und Grammatik zerstört werden, er die „Sprache frei laufen läßt“. Ein scheinbar ungezügeltes, überquellendes Buch. Doch hinter der grausamen, realistischen Fassade verbergen sich auch zartere Emotionen.

Es ist das erste Mal, daß sich Negerliteratur bewußt als solche artikuliert, indem sie sich spezifische Themen aneignet, die Problematik einer unterdrückten Rasse mit aller Offenheit darlegt. Schmerz, Verletzung, Liebe und Empörung werden beim Lesen greifbar, werden zu einer zweiten Realität. Hier wird eine Alternative zu einer im Formalismus erstarrenden europäischen Literatur aufgezeigt, neues, unverbrauchtes Material literarisch adäquat umgesetzt. Ein Buch,

das zur Pflichtlektüre jedes literarisch Interessierten gehören sollte.

NIGHT SONG, Roman von John A. Williams, Europaverlag Wien 1977, 275 Seiten, öS 188,-

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