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Neuer wirtschaftspolitischer Kurs nach Lance-Rücktritt?

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Der Skandal um Präsident Carters Freund und engsten Wirtschaftsberater, Budgetdirektor Bert Lance, ist zwar noch keine amerikanische Staatsaffare, trotzdem wurde dadurch das Ansehen des Präsidenten im Lande erheblich geschwächt: Innerhalb von zwei

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Der Skandal um Präsident Carters Freund und engsten Wirtschaftsberater, Budgetdirektor Bert Lance, ist zwar noch keine amerikanische Staatsaffare, trotzdem wurde dadurch das Ansehen des Präsidenten im Lande erheblich geschwächt: Innerhalb von zwei

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Monaten ist Carters Positivbewertung in den Meinungsbefragungen von 59 auf 52 Prozent gesunken, nachdem noch Ende April fast 70 Prozent dem Präsidenten ein gutes Zeugnis ausgestellt hatten. Lance hat seine Konsequenzen gezogen und ist zurückgetreten.

Lance kann nur als Produkt seiner südländischen Heimat in Georgia verstanden werden, wo er klein anfing und sich zum mächtigen Bankier emporarbeitete. Im Süden sind Politik und Geschäft bekanntlich noch enger verquickt als in den übrigen Staaten. Daher ist es nicht verwunderlich, daß Bankpraktiken, die in New York oder Boston als gewagt - wenn nicht als kriminell - angesehen werden, in Atlanta und den anliegenden Provinzstädten mit einem versöhnlichen „laissez faire” quittiert werden. Lance hat zur Finanzierung seiner persönlichen und politischen Ambitionen (er kandidierte auch für den Posten des Gouverneurs von Georgia) seine und seiner Verwandten Bankkonten um Hunderttausende von Dollar überzogen, ohne dafür Zinsen zu zahlen. Mit Einsatz ihm anvertrauter Gelder hat er von anderen Banken persönliche Kredite erwirkt, mit denen er sich dann die Kontrolle über kleinere Banken erkaufte.

Ob jeder dieser Kredite für sich gedeckt war, sollte in den Untersuchungen geklärt werden. Es scheint, daß die Deckung rotierte, je nachdem wo ein neuer Kredit aufgenommen wurde. Zuletzt wurde Lance auch noch gewisser Steuerdelikte beschuldigt und mit einer Veruntreuung in Zusammenhang gebracht, der sich ein Angestellter seiner Bank schuldig gemacht hatte.

Lance war einer der ersten, die Carter noch vor seiner Inauguration in sein Kabinett berief. Carter war mit Lance seit Jahren befreundet, beide stammen aus der tiefen Provinz des Südens und vertreten die gleichen politischen sowie ideologisch-religiösen Lebensauffassungen. Der Erdnußfarmer Carter war auch einer von Lances Bankkunden, dem ein Kreditrahmen von mehreren Millionen eingeräumt wurde. Lance, der selbst politische Ambitionen hatte, zählte zu den ersten Getreuen, die Carters Kampagne für das Weiße Haus unterstützten, lange bevor jemand ernstlich an Carters Chancen glaubte. Kein Wun-, der, daß er seine Wahlkampagne auch materiell unterstützte.

Zu Lances Unglück waren jedoch „die Schlampereien” seiner Banken (The Calhoun National Bank) Gegenstand einer langwierigen Untersuchung durch die Bankenaufsichtsbehörde, just als der Ruf aus Washington an ihn erging, Budgetdirektor im neuen Kabinett zu werden. Dieser Posten ist von höchster Bedeutung, da alle wirtschaftspolitischen und administrativen Fäden beim Budgetdirektor zusammenlaufen. Ihm ist eine Art Vetorecht eingeräumt, dem in jüngster Zeit beispielsweise der B-l-Bomber und die geplante Cashzahlung von 50 Dollar pro Kopf zur Wirtschaftsbelebung zum Opfer fielen. Daß Carter gerade auf diesem Posten einen persönlichen Freund wollte, ist daher nicht unverständlich.

Die Ernennung von Bert Lance auf diesen Posten erforderte jedoch eine Konfirmation durch den Senat genauso wie die Ernennung des Außenministers, des Verteidigungsministers oder eines Botschafters. Die Unterlagen für ein solches Konfirmationshearing werden von zuständigen Behörden vorbereitet, damit die Senatoren auch wissen, wer vor ihnen steht und wen sie konfirmieren.

So kam es - oder mußte es kommen-, daß wenige Tage vor dem Senatshearing die Untersuchung gegen Lances „Calhoun National Bank” eingestellt wurde und das Lance-Dossier, das den Senatoren zugeleitet wurde, nichts als Lob für den vorgeschlagenen Budgetdirektor enthielt Seiner Konfirmation durch den Senat stand so nichts mehr im Wege.

Da Lances Geschicke fast täglich durch neue Enthüllungen aus dem obskuren Süden belastet wurden und selbst jene Senatoren seinen Rücktritt verlangten, die noch vor Wochen die Informationsmedien der Verleumdung beschuldigten, kam zutage, was man nicht für möglich hielt. So sagte der Beamte, der die Untersuchung gegen Lance vor dem Hearing einstellte, vor ieinem Untersuchungsausschuß des Senates aus: „Damals, nach Carters Sieg, war alles in einer solchen Hochstimmung, daß nicht ich das Stinktier sein wollte, das die Party stört…”

Carter versuchte zuerst seinen Freund Lance zu retten. Der erste Bericht, in dem lediglich das Überziehen der Konten untersucht wurde, stellte fest, daß kein strafbares Delikt vorliege, obwohl „sehr unziemlich” gehandelt wurde. Sogleich berief Carter die Presse ein, versteifte sich darauf, daß keine strafbaren Übergriffe begangen wurden, und behauptete: „Was Lance getan hat, ist in der Bankenpraxis an der Tagesordnung.”

Carter hatte damit nicht nur sein Ziel, die Affäre Lance zu ersticken, verfehlt, sondern in ein Hornissennest gestochen. Zuerst wiesen die Banken die Pauschalfeststellung, Lances Aktivitäten seien „allgemeine Bankpraxis”, entschieden zurück. Schließlich wurden die Stimmen, die den Rücktritt von Lance forderten, immer lauter und zahlreicher. Plötzlich untersuchten nicht weniger als sechs verschiedene Regierungskomitees und Kongreßausschüsse die Vergangenheit des Bankdirektors, der schpn aus Zeitgründen gar nicht mehr in der Lage war, sein Regierungsamt auszuüben, da er sich auf seine Verteidigung vorbereiten mußte.

Daß die Affäre Lance mit dem Rücktritt des Budgetdirektors endete, überraschte niemanden. Der Präsident hat sich inzwischen von seinem alten Freund distanziert. Ein klassisches Beispiel dafür, wie unglücklich Geschäft und Politik in der amerikanischen Demokratie verquickt sind. Darüber hinaus aber auch der erste Schatten auf die Gebarung der Regierung Carter, die unter Vorzeichen höchster Ethik und Moral antrat und heute ebenso gezeichnet dasteht wie alle anderen vor ihr.

Die Affäre Lance bedeutet daher eine Zäsur in der jungen Geschichte Trat letzte Woche zurück: Budgetdirektor Bert Lance der Regierung Carter. Lance übte als Wirtschaftspolitiker einen konservativen Einfluß im Kabinett aus. Es ist denkbar, daß Carter angesichts der wachsenden Arbeitslosigkeit (insbesondere unter der schwarzen Bevölkerung) und auf Grund der lautstarken Kritik von links einen „liberaleren” Exponenten auf den Posten des Budgetdirektors in sein Kabinett beruft Die Affäre Lance hat daher nicht nur einschneidende innenpolitische Auswirkungen, sondern könnte auch einen neuen wirtschaftspolitischen Kurs einleiten.

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