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Revanche fur Guillaume

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Bonn, das sich eben anschickte den Bundestagswahlkampf zu beginnen, wurden plötzlich von einer ganz unerwarteten Meldung aufgeschreckt: Eine Chefsekretärin im Auswärtigen Amt war als Spionin für die DDR verhaftet worden. Nach dem noch kaum überstandenen Fall Guillaume war damit der Bundesrepublik ein neuerlicher Spionagefall beschert, dessen Ausmaße noch gar nicht zu übersehen sind. Wenn auch der Fall Helga Berger, so der Name der verhafteten Sekretärin, auf den ersten Blick nicht jene Außerordentlichkeit besitzt, wie jener des im Vorzimmer des Bundeskanzlers tätigen Günter Guillaume, so ist in ihm doch vielfältiger politischer Sprengstoff verborgen.

Zunächst steht zu befürchten, daß Helge Berger in der Phase der entscheidenden ostpolitischen Verhandlungen Bonns Zugang zu den Verhandlungsunterlagen hatte. Sarkastisch stellte ein Kommentator fest, daß Frau Berger damit für den Osten noch nützlicher gewesen sei als Guillaume. Denn während der Referent des Bundeskanzlers nur dort lauschte, wo von Laien die großen Leitlinien der Ostpolitik festgelegt wurden, hatte Helge Berger ihr Ohr bei den außenpolitischen Profis im Auswärtigen Amt, die die Details festlegten.

War dieser Geheimnisverrat schon groß genug — Frau Berger hatte Zugang zu den geheimsten Papieren —, so wäre er geradezu ungeheuerlich, wenn auch die Suspendierung des Abteilungsleiters im Bundesnachrichtendienst, Jürgen von Alten, mit Frau Berger zusammenhing. Von Alten war Leiter der Abteilung, die für die Auswertung der operativen Erkundungsergebnisse des Geheimdienstes zuständig war.Sollte er eine Quelle für östliche Geheimdienste gewesen sein, wäre damit der Bundesnachrichtendienst schwerstens getroffen. Allerdings scheint bereits einiges dafür zu sprechen, daß die Anschuldigungen gegen von Alten weniger schwerwiegend sein dürften und möglicherweise gar nichts mit der Spionin Berger zu tun haben.

Daß von Alten überhaupt mit dem neuen Spionageskandal in Zusammenhang gebracht werden konnte, liegt daran, daß sehr schnell Gerüchte die Runde machten, denen zufolge die Sekretärin zu so manchem Verantwortlichen amouröse Beziehungen unterhalten und auf diesem Wege ihre Informationen gewonnen habe. Am deutlichsten wurde dieser Verdacht gegenüber dem Leiter der Auslandsabteilung der CDU, dem früheren Botschafter Heinrich Böx, kolportiert. Während Böx unter dem Verdacht, Erkenntnisse an den DDR-Geheimdienst weitergegeben zu haben, einvernommen wurde, wußte schon Regierungssprecher Bölling maliziös anzudeuten, daß Böx zu Helge Berger, die in der Handelsvertretung Bonns in Warschau Sekretärin von Böx war, mit ihm nicht nur dienstliche Kontakte unterhalten habe.

Mit diesen von Regierungsseite geäußerten, von Böx vehement dementierten Verdächtigungen, wird der weit über den reinen Spionagefall hinausgehende Aspekt der Affäre Berger deutlich. Denn der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, daß hier von SPD-Seite Rache für den Fall Guillaume genommen wird. Spielten nicht auch damals amouröse Beziehungen Willy Brandts mit, die ihn möglicherweise erpreßbar gemacht hatten? Welche Genugtuung, nun der CDU die gleiche Anfälligkeit nachweisen zu können. Und war nicht auch bei der Anstellung von Guillaume die Sicherheitsüberprüfung unzureichend? Bei Helga Berger aber waren noch CDU-Minister im Amt, als sie überprüft und für die höchste Sicherheitsstufe zugelassen wurde.

An der Ernsthaftigkeit des neuen Spionagefalles ist kaum zu zweifeln, aber er wird sicher keinen Wahlschlager für die SPD abgeben. Er könnte bestenfalls dazu beitragen, daß die Affäre Guillaume nicht in der Hitze des Wahlkampfes noch einmal aufgekocht wird. Denn gerade Einsichtigen sollte die rasche Wiederholung der Entdeckung von Spionage in Bonner Entscheidungszentren klarmachen, daß hier ein Problem aufgeworfen wird, das unabhängig von aller Parteipolitik besteht. Gleichgültig, ob Unionsregierung oder sozialliberale Koalition — Ost-Berlin gibt Bonn keinen Pardon.

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