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Bisher nur die Spitze des Eisberges?

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Der Fall des kriminellen Gerhard Berger wirkt tief in die Wiener ÖVP hinein; doch wiederum auch nicht so tief, daß er den Durchbruch des Wiener ÖVP-Obmannes Erhard Busek auf der eisigen Wiener Politszene zu stoppen imstande ist, wenn, ja wenn es ihm und seiner Partei gelingt, die Offensive in dieser Angelegenheit zu ergreifen. Davon kann derzeit noch keine Rede sein. Nach allen bösen Überraschungen und herben Enttäuschungen wartet man gebannt auf neue Enthüllungen. Sogar staatspolizeiliche Ermittlungen werden nicht ausgeschlossen, seit bekannt wurde, daß Bergers ehemalige Firma „Beko” in Prag ein Büro unterhält. Schließlich gilt Computer- Programmen und EDV-Techniken das Hauptinteresse der östlichen Wirtschaftsspionage.

Es soll erst gar nicht geleugnet werden, daß Gerhard Berger ein mittlerer VP-Bezirksfunktionär mit den Allüren eines dynamischen und finanziell recht hilfsbereiten Geschäftsmannes war. Uber seinen politischen Heimatbezirk hat er sich als Financier auch für ÖVP-Projekte angeboten, so übernahm er beispielsweise die Vorfinanzierung eines Dienstwagens der Wiener ÖVP.

Politische Parteien sind in allen Demokratien auf private Zuschüsse angewiesen. Für die SPÖ besorgen das der finanzstarke ÖGB, sympathisierende Banken und die Konsumgenossenschaft. Der ÖVP widmen gleichfalls Banken, Versicherungen, größere und kleine private Unternehmungen finanzielle Unterstützungen. Dabei geht es den privaten Geldgebern seltener um Einfluß als um das Gefühl, ein Scherflein zum Erfolg einer politischen Idee beizutragen, die nicht zuletzt auch die soziale Marktwirtschaft gegen alle marxistischen Angriffe verteidigt. Insofern entspringen Spenden an politische Parteien durchaus keinem reinen Altruismus, haben aber auch keine so große Bedeutung, daß dadurch die großen politischen Linien einer Partei eine Änderung erfahren.

Die „kapitalistische” ÖVP ist eine arme Partei, jedenfalls viel ärmer als die klassenbewußte SPÖ. Die ÖVP hat sich private Zuwendungen auch immer gern gefallen lassen, wenn keine Zweifel über die Person und die Motive des Financiers bestanden haben. So wie sich Bundeskanzler Bruno Kreisky, Finanzminister Hannes Androsch und Bürgermeister Leopold Gratz der Freundschaft mit kapitalkräftigen Unternehmern rühmen, genauso gibt es auch Bekanntschaften und Freundschaften zwischen hohen ÖVP-Funk- tionären und Unternehmern. Es war nie ein Geheimnis, daß Karl Schleimer vor seiner tödlichen Autofahrt nach Bad Kleinkirchheim seinen Urlaub auf dem Schiff eines prominenten Unternehmers aus der Autobranche verbracht hat. Ebensowenig ist es ein Geheimnis, daß Hermann Withalm mit dem Seniorchef der österreichischen Fordwerke eine Freundschaft verbindet.

Der Architekt Ursprunger hat sich an die SPÖ angebiedert, dadurch zahlreiche Aufträge erhalten - heute sitzt er im Gefängnis; Gerhard Berger hat sich an die ÖVP angebiedert, heute sitzt er wegen zahlreicher Verdachtsmomente (Hehlerei usw.) in Untersuchungshaft. Die SPÖ hat Ursprunger noch verteidigt, als klar war, daß dieser Mann zumindest suspekt ist, die SPÖ steht zu einem burgenländischen Bundesrat, gegen den Ermittlungen wegen Hehlerei laufen - zuletzt wurde er als Bürgermeister dennoch wiedergewählt Die Wiener ÖVP hat sich dagegen von Gerhard Berger prompt gelöst, ihn aller seiner politischen Funktionen (die er nur auf Bezirksebene hatte) enthoben.

In einem Punkt zeigt die SPÖ ein jedenfalls eigenwilliges Verhalten: Eher löst sie sich noch von privaten Unternehmern (Herbert Ursprunger), als daß sie die im Bauring-Prozeß ange- klagten „Manager” fallenläßt. Wer 1,5 Milliarden Schilling verwirtschaftet, für die dann die Steuerzahler büßen müssen, ist noch allemal besser als ein Unternehmer, der sich Vergehen und Verbrechen schuldig gemacht hat. Uber die moralische Dimension dieser Art des Klassenbewußtseins könnte man lange Abhandlungen schreiben.

Die SPÖ und ihr Zentralorgan sind nun dabei, den Fall Berger zu einem Fall Müllner, Haselgruber usw. hochzuspielen. Sie wird schon wissen, was sie tut. Vielleicht versucht sie, damit den Zipfel einer Chance zu ergreifen, endlich die zahlreichen Korruptionsverdächtigungen, die sie noch immer mit dem Rücken zur Wand agieren läßt, in einer Offensivstrategie zu neutralisieren. Wenn freilich einige noch nicht bis ins letzte Detail bewiesene Mutmaßungen stimmen, dann dürfte auch die Wiener SPÖ in der Berger- Sache noch einige böse Überraschungen erleben. Denn bislang ist bei den Erhebungen im Fall Berger nur die Spitze des Eisbergs freigemacht Die Klientel des Gerhard Berger stammt aus allen politischen Lagern, und der kriminelle Kommerzialrat hat auch prominenten Sozialisten nur die eine Seite seines „Doppelgesichts” enthüllt: Das war der tüchtige, dynamische, innovative und lebenslustige Gerhard Berger, der es verstanden hat, rasch Bekanntschaften und Freundschaften zu schließen und der- so schien es - gar nicht mehr wollte, als die bewundernde Anerkennung seines politischen Bekanntenkreises.

Es ist keine Schande, diesem Gerhard Berger vertraut zu haben. Es ist auch kein Beweis für fehlende Menschenkenntnis, den „tüchtigen” Gerhard Berger nicht durchschaut zu haben. Wer dazu tatsächlich in der Lage ist, dem sollte man flugs höchste Positionen und Gehälter in der Wiener Polizei offerieren. Denn der wäre dann ganz bestimmt in der Lage, das Verbrecherunwesen in Wien an der Wurzel zu packen.

So ist es eigentlich unverständlich, daß prominente sozialistische Funktionäre und Journalisten mit ihrer Menschenkenntnis hinterm Berg halten. Ihre Fähigkeit, alles transparent zu machen, hätte den Bauring-Skandal ebenso wie den Fall Berger verhindern können.

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