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Späte Reue

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Unter Vermittlung des ägyptischen Generalsekretärs und früheren Außenministers Machmut Riad verhandelten im Kairoer Hauptquartier der Araber-Liga die Präsidenten des Nordjemen, Kadi Abder Rachman el-Iriani, und des Südjemen, Sal im Rubajji, über ein von Verhandlungsdelegationen beider Staaten in dreitägigen Gesprächen vereinbartes Programm zum Zusammenschluß der beiden Nachbarländer binnen einem Jahr. Die überraschende Einigung über die allgemeinen Prinzipien eines Zusammenschlusses zwischen Nord- und Südjemen läßt jedoch die tiefgreifenden ideologischen Unterschiede zwischen beiden Regimen außer acht. Die Frage bleibt, ob sich die linksextremistischen Revolutionäre von Aden zum Verzicht auf ihr mar-xistisch-maoistisches Programm bewegen lassen oder versuchen werden, es auch auf den Nordjemen anzuwenden. Kommt es wirklich zur Wiedervereinigung, liegen hier die eigentlichen Konfliktstoffe der Zukunft.

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Unter Vermittlung des ägyptischen Generalsekretärs und früheren Außenministers Machmut Riad verhandelten im Kairoer Hauptquartier der Araber-Liga die Präsidenten des Nordjemen, Kadi Abder Rachman el-Iriani, und des Südjemen, Sal im Rubajji, über ein von Verhandlungsdelegationen beider Staaten in dreitägigen Gesprächen vereinbartes Programm zum Zusammenschluß der beiden Nachbarländer binnen einem Jahr. Die überraschende Einigung über die allgemeinen Prinzipien eines Zusammenschlusses zwischen Nord- und Südjemen läßt jedoch die tiefgreifenden ideologischen Unterschiede zwischen beiden Regimen außer acht. Die Frage bleibt, ob sich die linksextremistischen Revolutionäre von Aden zum Verzicht auf ihr mar-xistisch-maoistisches Programm bewegen lassen oder versuchen werden, es auch auf den Nordjemen anzuwenden. Kommt es wirklich zur Wiedervereinigung, liegen hier die eigentlichen Konfliktstoffe der Zukunft.

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Im „Crescent-Hotel“, wo noch vor fünf Jahren britische Kolonialbeamte und Offiziere über den permanenten Guerillakrieg im Hinterland und den zunehmenden Terror konkurrierender Untergrundgruppen in der Hauptstadt ihrer schon auf der Liquidationsliste des Empires stehenden Kronkolonie debattierten, diskutieren heute sowjetische Instrukteure über ein ganz ähnliches Problem. Im Hinterland von Aden, das im fünften Jahr seiner nationalen Unabhängigkeit noch immer wie eine belagerte Festung aussieht, tobt seit Wochen (wenn nicht schon seit Monaten) ein heftiger Kleinkrieg der südjemenitischen Volksarmee und ihrer roten Berater gegen aufsässige Stammeskrieger, Guerrilleros der seit 1968 von der Macht verdrängten „Front für die Befreiung des besetzten Süd Jemen“ (FLOSY) des ehemaligen Premiers

Abdel Kaui el-Makkaui und reguläre nordjemenitische Truppenver-bände.

Aden und Sana'a widersprechen einander ständig über die Ursachen des Kriegsausbruchs und den Frontverlauf. Feststeht nur, daß in Harib schon seit längerem ein südjemenitisches Expeditionskorps geduldet wurde. Feststeht auch, daß der im Grenagebiet gelegene antike Ort Ka-taba von südjemenitischen Einheiten besetzt wurde. Beide Siedlungen liegen im Nordjemen. Jungst kam es erneut zu Gefechtaberührung zwischen Truppen beider Nachbarstaaten und zu Luftkämpfen. Zwei südjemenitische Maschinen sollen abgeschossen worden »ein, darunter ein Flugzeug mit Regierungs- und Parteifunktionären aus Aden.

Der Konflikt, der bereits einige hundert Tote gefordert hat, ist nicht einfach darauf zurückzuführen, daß der Südjemen auf die gewaltsame „Wiedervereinigung“ der beiden Jemenstaaten ausgeht oder der Nordjemen das von ihm als störend empfundene Marxistenregime in Aden stürzen will. Beide Regierungen haben unüberwindlich scheinende innenpolitische Schwierigkeiten. Aden ist gegenwärtig ein ebenso heißes Pflaster wie in der von ziellosem Terror geprägten Endphase der britischen Herrschaft, nach dem arabisch-israelischen Sechstagefeld-zug. Massenverhaftungen und Arbeitslosigkeit bestimmen die Atmosphäre und bereiten den Boden für die zunehmende heimliche Aktivität der vom nordjemenitischen Exil aus operierenden FLOSY. Diese schleust Bombenleger nach Aden ein, und nächtens explodieren immer häufiger Sprengkörper an den alten Schauplätzen des Terrors gegen die Engländer.

Die Wüstenstämme, die 1968 ihre Partikularfürsten davonjagten oder umbrachten, plagt jetzt die Reue. Sie möchten sich nur zu gerne des lästigen Jochs der marxistischen „Nationalen Befreiungsfront“ (NLF) in Aden entledigen. Mit der FLOSY haben sie allerdings ebenso wenig im Sinn. Ihnen ist es gleichgültig, wer im „Crater“ von Aden den Ton angibt, sie kämpfen ihren eigenen Krieg um die Rückgewinnung ihrer Autonomie. Weder Aden noch Sana'a, weder NLF noch FLOSY haben irgendeinen Einfluß auf die Stammesscheiche. Vierzig von ihnen wurden vor ein paar Monaten in einen Hinterhalt gelockt und niedergemetzelt. Manche Anzeichen sprechen dafür, daß Süd- und Nordjemen gemeinsam diesen Hinterhalt legten. Doch das stachelte den Zorn der Scheichs nur noch mehr an. Sie nehmen Waffen von allen Seiten, Geld vor allem von König Feisal von Saudi-Arabien und von den bei ihm im Exil lobenden ehemaligen Kleinfürsten. Die Emire hoffen auf Rückkehr.

Was hier in Gang kam, ist ein weiterer arabischer „Stellvertreterkrieg“ zwischen den feindlichen ideologischen Systemen der arabischen Welt. In ihm versucht die Kairoer Araberliga zu vermitteln. Doch die aufsässigen Scheichs dürften sich kaum an etwaige Vermittlungsabsprachen halten. Sie mißtrauen Sana'a ebenso wie Aden. Der Kleinkrieg am Rand des „Rub el-Chali“, des arabischen leeren Viertels, ist ein Stellvertreterkrieg auch in der weltweiten Auseinandersetzung zwischen Nord und Süd, zwischen Stadt und Land.

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