6957086-1984_34_06.jpg
Digital In Arbeit

Tollhaus vor Chinas Türe

Werbung
Werbung
Werbung

Macao, Europas erste Siedlung im Fernen Osten und Portugals letzte Kolonie, verfügt weder über einen Tiefseehafen noch über einen Flugplatz. Alle Wege nach Macao führen über Hongkong.

Wirtschaftlich steht Macao schon seit hundert Jahren im Schatten Hongkongs, politisch bilden die beiden Kolonien gegenüber dem roten Reich der Mit-

te eine Schicksalsgemeinschaft, wobei sich Macao im Gegensatz zur Kronkolonie Hongkong seit 1976 als ein „chinesisches Territorium unter portugiesischer Verwaltung" bezeichnet und es auch keine vertraglich festgeschriebene Frist für eine Rückgabe an China gibt.

Von dem einstigen portugiesischen Weltreich sind hier am Rande Chinas noch 16 Quadratkilometer übriggeblieben. Noch weniger als Hongkong läßt sich Macao gegen einen Angriff vom Festland verteidigen. Aber weniger als in früheren Jahren sind Asien-Beobachter heute der Meinung, Macaos Tage als portugiesisches Uberseegebiet seien gezählt.

Schon vom Boot aus bemerkt man zahlreiche Neubauten, die sich nicht gerade vorteilhaft in das alte Stadtbild einfügen, aber einen beachtlichen Zukunftsglauben zum Ausdruck bringen. Investoren aus Hongkong, Japan und Singapur sorgen dafür, daß die Grundstückspreise in die Höhe kletterten und Macao aus dem Dornröschenschlaf erwachte.

Soll hier der nimmermüde mer-

kantile Geist Hongkongs, das Streben nach immer höheren, moderneren Bauten einziehen? Der Charme Macaos bestand bisher in den bunt gestrichenen portugiesischen Bürgerhäusern, den antiquierten Kirchen und Palästen, den Kopf steingassen im Chinesenviertel und den verträumten Gärten. Romanischer Schönheitssinn hat hier, wie in Lissabon, auf sieben Hügeln eine malerische Stadtlandschaft geschaffen.

Glanz und Vergehen des lusita-nischen Kolonialreiches spiegeln sich in Macao wider, von diesem Stützpunkt aus hatten die Nachfahren Heinrich des Seefahrers und Vasco da Gamas den Handel und die christliche Missionierung im Fernen Orient unternommen. Macao war den Portugiesen im Jahre 1557 von der Pekinger Regierung zugesprochen worden, nachdem sich ihre Galeonen im

Kampf gegen Küstenpiraten bewährt hatten.

Heute nun verkünden Touristenprospekte aus Macao: „Wir haben 400 Jahre lang auf Sie gewartet!" Macao lebt vorwiegend vom Tourismus und vom Glücksspiel, außerdem von einer Kleinindustrie, die Textilien, Möbel, Zigaretten, Streichhölzer, Parfüms, Kerzen, Feuerwerkkörper, Spielzeug und Sandalen herstellt. Mehr als zuvor versucht Macao, vom Touristenboom Hongkongs zu profitieren.

Es kann lange dauern, bis man in Macao einen waschechten Portugiesen zu Gesicht bekommt. Denn 97 Prozent der rund 350.000 Macanesen sind chinesischer Abstammung. Nur eine Minderheit bekennt sich zum christlichen Glauben. Es herrscht Linksverkehr wie in Hongkong, hüben wie drüben sind die Straßen voller

chinesischer Schriftzeichen, hängen Wäschestangen aus den Fenstern, hört man Töne und Gesänge, die dem westlichen Ohr wie Katzenmusik vorkommen.

Das ameisenhafte Gewimmel Hongkongs setzt sich in den Hotel-lobbies und rauchgeschwängerten Spielsälen fort; ein „füll hou-se" gleicht dort einem Tollhaus. Nicht Monte Carlo, vielmehr Las Vegas findet man kopiert, gediegene Eleganz ist rar, es dominiert der Volksgeschmack.

Mehr noch als die früheren portugiesischen Besitzungen Goa und Malakka bewahrt Macao die Atmosphäre eines exotisch-geheimnisvollen Orients. Noch gibt es die winkligen, nach Chop Suey, Räucherstäbchen und Lastern riechenden Altstadtgassen mit den halbdunklen Teestuben, den zahllosen Lädchen und Werkstätten.

Einst war Macao neben Schanghai die verrufenste Stadt Ostasiens. Noch immer hört man fantastische Geschichten über Opium-, Alkohol- und Waffenschmuggel.

Weshalb duldet die VR China Macao noch immer, diesen Restposten europäischer Kolonialherrschaft? 1887 war Portugals Besitzrecht noch einmal vertraglich bekräftigt worden. Wollen sich die kommunistischen Erbwalter des kaiserlichen China daran halten? Will sich Beijung in Macao ebenso wie offensichtlich in Hongkong eine Tür zum Westen offenhalten?

Auch in Macao pfeifen es die Spatzen von den Dächern: Kapitalisten und Kommunisten machen miteinander gerade in dieser Zeit wirtschaftlicher Prosperität gute Geschäfte, ohne Rücksicht auf ideologische Glaubensbekenntnisse.

In Macao, wo die Kommunistische Partei bei Parlamentswahlen keine hundert Stimmen erhielt, hat die von Beijing gesteuerte Chinesische Handelskammer mehr Macht als der portugiesische Gouverneur. Obwohl zwischen Portugal und dem kommunistischen China erst seit 1979 diplomatische Beziehungen bestehen, gab es schon vorher Abmachungen über einen entmilitarisierten Status von Macao und über die Deportation von Flüchtlingen aus der Volksrepublik.

Die aggressiven Töne, die während der Kulturrevolution vom Festland kamen, sind heute vergessen. Den Chinesen, heißt es heute allgemein, sei an der Erhaltung des Status quo mehr gelegen als den Portugiesen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung