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Um einen katastrophalen Pfestige-verlust Kanadas zu verhüten, hat die Regierung von Quebec die Verantwortung für die zeitgerechte Vollendung der Bauten am Olympiagelände in Montreal übernommen. Die Vorgeschichte dieser Entscheidung, die eine Demütigung für Kanadas populärsten Bürgermeister bedeutet, ist ungewöhnlich — doch es gab keinen anderen Ausweg. Montreals Kasse wurde immer leerer. Dr. Victor Goldbloom, Quebecs Municipal Affairs Minister, berichtet: „Wir mußten auch eingreifen, weil die Zeitnot immer druckender wurde.“ Allein die Arbeiten im Olympiastadion waren fünf Wochen hinter den Terminkalender zurückgefallen.

Im Mai 1970, in Amsterdam, war es Bürgermeister Jean Drapeu geglückt, die Olympischen Sommerspiele 1976 für Montreal zu gewinnen. Drapeau handelte auf eigene Faust Er hatte weder von Kanadas Regierung noch von seiner Heimatprovinz Quebec eine finanzielle Hilfe erhalten — oder gefordert. Drapegus Stellungnahme war stolz und klar: „Es ist ebenso unmöglich für die Montrealer Olympiade,“ ein Defizit zu haben, wie für einen Mann, ein Baby zu gebären.“ Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, daß Municipal Affairs Minister Dr. Victor Goldbloom, der nun im Auftrag der Regierung von Quebec die Vorarbeiten für die Olympischen Spiele überwacht, von Beruf ein prominenter Gynäkologe ist.

Der Enthusiasmus in Montreal für die Olympischen Spiele war nicht so groß, wie Bürgermeister Drapeau erhofft hatte. Typisch für die Stimmung war der Kommentar: „Montreal verhält sich wie eine Familie, die einen Cadillac kauft, obwohl sie es sich nicht leisten kann, die Telephonrechnung zu bezahlen.“

Ursprünglich waren die Kosten des Olympiastadions mit 100 Millionen Dollar budgetiert worden; mittlerweile sind sie auf 564 Millionen Dollar hinaufgeklettert. Boshafte Kanadier erinnern daran, daß Bürgermeister Drapeau kein Finanzgenie ist. Vor einigen Jahren betätigte er sich als Restaurantbesitzer. Im exklusiven Windsor-Hotel hatte er seine Gaststätte für Gourmets — „Le Vaissau d'Or (Das goldene Boot)“ — eröffnet. Es erlitt innerhalb von zwei Jahren Schiffbruch, als das Hotel den Bürgermeister wegen Nichtbezahlung der Miete klagte.

Nun versuchen auch Quebeker Separatisten aus der Lage politische Vorteile zu ziehen. „Wenn wir die Rechnungen für die Olympiade zahlen müssen, kann die Königin von England zu Hause bleiben“, ruft der separatistische Abgeordnete Claude Charron.

Königin Elizabeth wird am 17. Juli den Eröffnungsfeierlichkeiten präsidieren.

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