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Olympische Sabotage

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Über Bauobstruktion, Separatisten und Kampf für höhere Löhne.

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Über Bauobstruktion, Separatisten und Kampf für höhere Löhne.

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Brandstiftungen, zerschlagene Röhren und zerschnittene Drähte im olympischen Stadion haben in Montreal Bestürzung ausgelöst. Die Bauleitung konterte mit der Entlassung von 123 Installateuren und Elektrikern. „Ich ziehe vor den Werkleuten, die hart arbeiten, meinen Hut“, erklärte Claude Rouleau, Chef des Olympic Installation Board, „aber die Missetäter mußten raus!“ Die Sabotageakte waren von einer Verlangsamung des Arbeitstempos begleitet. Noch ist es unklar, ob Installateure und Elektriker auf diese Weise höhere Löhne erzwingen wollten, oder ob die Störungen das Werk radikaler Quebeker Separatisten waren.

Olympiademinister Victor Goldbloom bemerkte zur Lage: „Die Zwischenfälle haben bedeutende Fragen aufgeworfen. Wir können kurzfristige Verzögerungen hinnehmen, aber wenn die Sabotage nicht aufhört, geraten wir in Zeitnot. Jeder verlorene Arbeitstag ist gefährlich.“ Wohl kann die Sabotage nicht die termingerechte Eröffnung der Montrealer Olympiade gefährden, doch sie wird den Komfort der Zuschauer mindern. Beispielsweise — so Goldbloom — „werden die Klosetts nicht so elegant sein, wie sie es sein sollten.“

Da die Zahl der kanadischen Arbeitslosen heute 7,4 Prozent des Arbeitspotentials lahmlegt und mit 769.000 Arbeitssuchenden einen seit 15 Jahren unbekannten Rekord erreicht hat, liegt die Vermutung nahe, daß die Sabotageakte nicht von unzufriedenen Werkleuten, sondern von radikalen Quebeker Separatisten verübt worden sind. Die Löhnung der 4000 Werkleute, die auf dem olympischen Gelände arbeiten, beträgt 800 Dollar je Woche und liegt damit über dem kanadischen Durchschnitt. Trotzdem wurde Roger Trudeau, Generaldirektor des Olympic Installation Board, kürzlich auf der Baustätte mit Steinen beworfen.

Mittlerweile werden Befürchtungen laut, daß das Defizit der Montrealer Olympiade auf 1,3 Milliarden Dollar klettern könnte. Die Verlängerung der olympischen Lotterie bis 1979 soll einen Teil dieses Defizits decken, doch stößt das Projekt — Lotta Canada — auf Widerstand in Ontario und im „Goldenen Westen“, da auf diese Weise die Einkünfte aus den Provinzlotterien reduziert werden.

Auch die Raucher in der Belle Province müssen jetzt tiefer in die Tasche greifen. Quebecs Finanzminister Raymond Garneau hat die Zigarettensteuer verdoppelt, was den Preis von 25 Zigaretten auf einen Dollar erhöht. Mit der gleichen Steuererhöhung sind Zigarren und Pfeifentabak belastet. Finanzminister Garneau meint dazu: „Jedesmal, wenn jemand eine Zigarette anzündet, geht ein Teil des olympischen Defizits in Rauch auf!“ Zudem wird die Stadt Montreal einen Beitrag von 200 Millionen Dollar leisten müssen.

Das allerdings mag Bürgermeister Jean Drapeau aus dem Häuschen bringen. Nachdem er die Olympischen Spiele für Montreal erobert hatte, machte er die Bemerkung: „Es ist ebenso unmöglich, für die Olympiade ein Defizit zu haben, wie für einen Mann, ein Baby zu gebären!“ Als der Komiker Bob Hope vor kurzem in „Kanadas Paris“ weilte, scherzte er: „Die Leute wundern sich, wer zuerst fertig sein wird — das olympische Stadion oder Bürgermeister Drapeau...“

Andere Kommentatoren erklären Drapeau bereits zum ersten Sieger der Olympiade. Denn in der an Enttäuschungen und Fehlprognosen überreichen Geschichte dieser Institution hält er vorerst unangefochten den Weltrekord des Illusionismus.

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