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Drapeaus Coup

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Jean Dropeau (54), Bürgermeister von Montreal und Besitzer des Luxusrestaurants Le Vaisseau d'Or (Das Goldene Schiff), ist der Mittelpunkt brausender Ovationen. Obwohl „Kanadas Paris“ als krasser Außenseiter galt, gelang es Drapeau, die Sommerolympiade 1976 für seine Heimatstadt — die bereits im Jahre 1967 Stätte der Großen Weltausstellung war — zu gewinnen. „Er hat einen kahlen, aber keinen leeren Schädel“, berichtete ein amerikanischer Reporter — ein wenig enttäuscht darüber, daß die Olympiade der Weltstadt Los Angeles entgangen war. „Drapeau ist der größte Kanadier seit Rocket (Rakete) Richard“, behauptet der Sportjournalist Jim Coleman. Rocket Richard war der populärste Eishockeyspieler von Montreal.

Jean Drapeau, der ursprünglich Missionär werden wollte, doch später Jus studierte, wurde zum ersten Mal im Jahre 1954 zum Bürgermeister gewählt Wohl wurde er bei der nächsten Wahl besiegt, doch seit 1962 lenkt er die Geschicke der größten Stadt Kanadas. Im Jahre 1966 erhielt Jean Drapeau nicht weniger als 95 Prozent der Stimmen! Im kommenden Herbst mag ihm ein ähnlicher Triumph glücken. Die Mehrzahl der Montrealer ist französischer Abstammung. Besonders der Osten der Stadt — in dem die Bauten für die Olympiade errichtet werden — gilt als Hochburg des separatistischen „Parti Quebecois“, der für eine Republik Quebec kämpft. Die Partei, die bei den Provinzwahlen im April fast ein Viertel der Stimmen erhielt, eroberte im Osten Montreals auf den ersten Anhieb sechs Mandate. Jean Drapeau hat behauptet, daß die Olympiade die Steuerzahler Montreals „keinen Cent“ kosten werde, ohne aber dieses Wunder erklären zu können. In Toronto hat Vizebürgermeister Rotenberg bemerkt, daß allein Drapeaus Kampagne, die Olympiade für Montreal zu sichern,zwischen 500.000 und 1,000.000 Dollar gekostet habe. Unter anderen besuchten — auf Bürgermeister Drapeaus Einladung — mehr als 30 Mitglieder des International Olympic Committee mit ihren Damen Montreal und wurden hier königlich empfangen und bewirtet.

Bürgermeister Drapeau rechnet damit, daß der Verkauf der Fernseh-und Hörfunkrechte 50 Millionen Dollar einbringen werde. Zudem erwartet er die Finanzierung von Bauten wie des Olympischen Dorfes und des Press Centre durch die Regierung, da diese nach der Olympiade in Wohnungen umgewandelt werden können. Natürlich ist es auch kaum ein Nachteil, daß sowohl Premierminister Pierre Trudeau als auch der neugewählte Regierungschef von Quebec, der junge Robert Bourassa (36), Söhne der Stadt Montreal sind.

Anderswo im Land der „schwarzen Bären“ hält sich die Begeisterung in bescheideneren Grenzen. Beispielsweise erwähnt Torontos Globe & Mail, Kanadas größte Morgenzeitung, daß Montreal weder geeignete Sportplätze noch die nötigen Geldmittel besitze — die Stadt ist nämlich schwer verschuldet. Doch der Jubel in Montreal ist allgemein, und selbst die konservative Royal Bank of Canada stimmt darin ein. Ihre Großinserate tragen die frohe Botschaft: „Nochmals vielen Dank, Bürgermeister Drapeaul“

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