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Weltgeschichte(n)

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„Lieber, lieber Sadat, wie konntest du mir das antun?“ sagte die Stimme am Telephon.

„Wer spricht dort eigentlich?“ sagte ein unwilliger Sadat.

„Aber ich bin esdoch,Breschnjew“, sagte die Stimme, „kennst du denn nicht einmal mehr meine Stimme nach all den Jahren unserer ungetrübten Harmonie? Du kannst mich nicht verlassen!“

„Natürlich kann ich“, sagte Sadat, „Exzellenz haben doch die Aufkündigung unseres Freundschaftsvertrages in Händen!“

„Seit wann sind wir denn per Sie?“ sagte Breschnjew.

„Ich war mit Ihnen immer schon per Sie, aber Sie waren mit mir immer per du, und das ist ja einer der Gründe, warum unsere Wege auseinandergehen“, sagte Sadat.

„Ich habe so viel in unsere gemeinsame Zukunft investiert...“ sagte Breschnjew.

„Das tut mir loirklich leid“, sagte Sadat.

„Ich kann ohne Sie nicht mehr leben!“ sagte Breschnjew.

„Sie werden es lernen müssen“, sagte Sadat.

„An ein paar Düsenjägern sollte es nicht fehlen!“ sagte Breschnjew.

„Wir brauchen keine Düsenjäger, lüir bekommen genug amerikanische“, sagte Sadat.

„Ja, aber die amerikanischen sind nichts wert“, sagte Breschnjew, die sowjetischen sind viel billiger, und außerdem, die Konditionen, die wir bieten! Ich übertreffe mich selbst — wie wäre es mit 100 Migs, neueste Bauart, Listenpreis pro Stück 50 Millionen Dollar, in einem einmaligen Sonderangebot zu einer Million Dol-

lar pro Maschine, zinsenfrei kreditiert auf 100 Jahre?“

„Ein verlockendes Angebot“, sagte Sadat, „aber ich schlage es aus.“

„Das verstehe ich nicht“, sagte Breschnjew, „billiger können es die Amerikaner auch nicht machen! Wie wäre es mit einem Staudamm bei Assuan, der die ägyptische Wirtschaft für Jahrzehnte mit Strom versorgen könnte? Als Geschenk des sowjetischen Volkes an das Ihrige?“

„Den haben wir schon“, sagte Sadat.

„Verdammt, wer hat den gebaut?“ schrie Breschnjew, aber nur, um sofort auf das süßeste zu flöten: „Ich meine, ich frage ja nur....“

„Den hat uns Chruschtschow gebaut“, sagte Sadat, „ein Geschenk für Nasser!“

„Verd ... ich meine, zu dumm, das habe ich ganz vergessen, unsere abrupte Trennung verwirrt mir die Sinne. Könnten wir unseren Freundschaftspakt nicht wenigstens nach außen hin aufrecht erhalten?“

„Umgekehrt wäre es mir lieber“,

sagte Sadat, „wir bleiben nach außen geschiedene Leute, aber Sie schicken halt umsonst Düsenjäger, Staudämme, Panzer, und was sie sonst noch übrig haben, natürlich alles erste Qualität, und insgeheim, so daß es niemand erfährt, natürlich ohne weitere Verpflichtungen unsererseits.“

,£adat, liebster Sadat“, flüsterte Breschnjew tonlos, „wie konnte es zwischen uns soweit kommen?“

„So ist das Leben“, flüsterte Sadat zurück.

„Hast du mir nicht ewige Treue geschworen?“ schrie Breschnjew.

„Dos schwören alle Brautleute“, konterte Sadat eiskalt, „aber jetzt sind Scheidungen modern.“

„Aber warum“, schrie Breschnjew, „warum?“

„Wegen der Ersatzteile für die Migs“, sagte Sadat, „wegen der ausgebliebenen Lieferungen!“

„Ach, wenn es weiter nichts ist“, sagte Breschnjew, „die holen wir nach. Ich schicke alles sofort!“

„Zu spät“, sagte Sadat.

„Da ist jemand in der Leitung“, sagte Breschnjew, „hallo, wer dort?“

„Hier Dubcek“, sagte eine sehr, sehr ferne Stimme „ich bin zufällig in euer Gespräch geraten. Aber es trifft sich gut, Genosse Breschnjew, denn auch mir wurden Lieferungen versprochen, die nicht kamen.“

„Wird nachgeholt“, sagte Breschnjew, „worum handelt es sich?“

„Nur um ein paar Kleinigkeiten“, sagte Dubcek. Die Ersatzteile, die wir brauchen, heißen Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Die Lieferung wurde uns 1968 zugesagt. Aber was dann kam, entsprach nicht der Bestellung.

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