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LUKIAN

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Noch immer rätselt die Welt über die Umstände, unter denen der sowjetische Staatschef Podgomy Politbüro und Zentralkomitee der KPdSU verließ. Wir sind in der Lage, den Schleier, der dieses Geheimnis verhüllt, zu lüpfen. Unseren absolut verläßlichen Informationen zufolge verlief die denkwürdige ZK-Sitzung wie folgt:

Zuerst trat das greise Politbüromitglied Marschall Ustinow ans Rednerpult und sagte: „Weiser Führer unserer Partei, auch der Staat bedarf deiner starken und dabei doch so gütigen und milden Hand. Unser Freund Podgomy hat mir heute anvertraut, daß er sich in diesen schweren Zeiten dieser verantwortungsvollen Aufgabe nicht mehr gewachsen fühlt. Wir müssen dich daher inständig bitten …“

„Ich kann doch nicht alles machen“, unterbrach ihn gerührt Breschnjew.

Die Behauptung, Marschall Ustinow habe sich daraufhin winselnd vor Breschnjew niedergeworfen, ist allzu durchsichtig.

Nach Ustinow trat Politbüromitglied Kulakow ans Rednerpult und sagte: „Leuchtender Leitstern unserer Partei, mächtiger Steuermann unseres Staates, du und nur du kannst ihn führen! Vor dir auf dem Boden kriechend, flehen wir dich an, die Staatsführung auf dich zu nehmen!“

Das mit dem Kriechen war selbstverständlich symbolisch gemeint. Behauptungen, Kulakow habe sich tatsächlich im Rückwärtsgang kriechend zu seinem Platz zurückbegeben, sind eine kapitalistische Verleumdung.

„Es gelüstet mich nicht nach der Macht, und außerdem kann ich nicht alles allein machen“, sagte Breschnjew.

Nach Kulakow trat Politbüromitglied Kirilenko ans Rednerpult und sagte: „Du größter Sohn dieses Landes, du Leuchtturm der um ihre Befreiung ringenden Welt, weiser Ratgeber der Völker, glänzender Ruhm unseres Landes…“

Breschnjew unterbrach ihn milde und sagte: „Genossen, Ihr alle wißt, daß ich nie danach gestrebt habe, mehr zu sein als ein Gleicher unter Gleichen, und außerdem kann ich doch nicht alles allein machen!“

Die Gerüchte, Kirilenko habe weinend die Bpine Breschnjews mit seinen

Armen umfangen und Breschnjews Schuhe mit seinen Tränen benetzt, sind ein niederträchtiger Propagandatrick des Westens und entbehren jeder Grundlage.

Nach Kirilenko trat Politbüromitglied Masurow an das Rednerpult und sagte: „Du größter Sohn, den die sowjetischen Völker je hervor gebracht haben, du, dessen Ruhm dem des großen Lenin zu gleichen beginnt, du Hort der Freiheit, Hoffnung der Unterdrückten …“

Breschnjew unterbrach ihn milde und sagte: „Genossen, Ihr wißt, es ist mein innigster Wunsch, nichts zu sein als ein Sowjetmensch unter Sowjetmenschen - ein etwas gescheiterer vielleicht, aber ich kann doch wirklich nicht alles allein machen!“

Propagandistische Lügen der Imperialisten, Masurovb habe Breschnjew den Stiefel geküßt, können nicht nachdrücklich genug zurückgewiesen und verurteilt werden.

Nach Masurow trat Politbüromitglied Grischin ans Rednerpult und sagte: „Großer Breschnjew, Mittelpunkt des Weltalls, oh, erfülle uns unseren Wunsch - es kann uns einfach niemand führen so wie du!“

„Also wirklich“, antwortete Bresch-

njew, „eine solche Machtkonzentration in einer Hand wäre ungesund. Podgomy kann es außerdem viel besser als ich. Seht euch doch an, was er geleistet hat, die Immunität der Abgeordneten zum Obersten Sowjet, die Geschäftsordnung, die es vorher einfach nicht gegeben hat, die Ständigen Kommissionen, die uns fast einen Hauch von westlichem Parlamentarismus beschert haben…“

Daß Grischin sich drauf in wilden Verrenkungen der Verzweiflung auf dem Boden wälzte, ist unwahr, wahr ist aber, daß nun Podgomy selbst ans Rednerpult trat und sagte: „Ich bereue meine Irrtümer, Herrlicher, Erleuchteter, bitte, entziehe dich nicht deiner Verantwortung. Niemanden lieben wir, deine treuen Gefolgsleute, so innig wie dich, erlauchter Führer, inspirierter Richtungsweiser, großer, bewundernswerter …“

„Also schön“, unterbrach ihn milde Breschnjew, „ich werde es mir überlegen, aber wenn Ihr mich jetzt auch noch zum Zaren krönen wollt, dann werde ich wirklich noch ganz ernsthaft böse!“

Das ist natürlich alles völlig unwahr. Wahr ist vielmehr, daß die Sowjetmenschen ihr Staatsoberhaupt in freier, demokratischer Wahl bestimmen.

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