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Pingpong gegen Moskau?

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Noch sind nicht alle Delegierten des sowjetischen Parteitages in ihre Republiken zurückgekehrt, da erlebt die Sowjetunion wiederum einen neuen, spektakulären Anlauf in der Eroberung des Weltraumes. Soll die bemannte Station als künstlicher Mond die neue Ära Breschnjew auf der Erde östlich des 20. Meridians signalisieren?

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Noch sind nicht alle Delegierten des sowjetischen Parteitages in ihre Republiken zurückgekehrt, da erlebt die Sowjetunion wiederum einen neuen, spektakulären Anlauf in der Eroberung des Weltraumes. Soll die bemannte Station als künstlicher Mond die neue Ära Breschnjew auf der Erde östlich des 20. Meridians signalisieren?

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Ja, auf dem 24. Kongreß der KPdSU hat die Ära Breschnjew endgültig begonnen.

Das war nicht erst klar, als in der Reihenfolge im Politbüro Bresch- njews gefährlichster Troika-Rivale, nämlich Ministerpräsident Kossygin, vom zweiten auf den dritten Rang zurückrutschte; das war sohon hörbar bei der großen Rede des Generalsekretärs, der die eigentlichen politischen Aussagen machte — über die Außenpolitik, die Wirtschaftspolitik — jene Bereiche also, über die Kossygin später nur noch reproduzieren durfte. Und das wurde sichtbar, als zu den derzeitigen Politbüromitglie- dem vier neue hinzukamen: Drei von ihnen sind Männer des bulligen Breschnjew — und sichern ihrem Chef zumindest für die näohste Zeit eine Machtfülle, wie sie auch Chruschtschow auf dem Höhepunkt der Macht besaß.

Die Ära Breschnjew: Sie orientiert sich jedenfalls an den Erlebnissen mit den tschechischen Genossen im Jahre 1968 — und wahrscheinlich auch an den Vorfällen im Dezember 1970 in Nordpolen. Breschnjew ist jetzt der Mann am Ventil — er muß regulieren, wie der Dampf in seinem weiten Imperium abgelassen wird. Die Weichenstellung des Kongresses bestand jedenfalls in der Erklärung für den Primat der sowjetischen Konsumgüterindustrie. Ihr Ziel ist die Hebung des Lebensstandards von mehr als 241 Millionen Bürgern. Das ist, in den Klartext einer Soll- und-Haben-Rechnung übersetzt,

einerseits die Bereitschaft zu mehr Handel mit dem Westen (um die Voraussetzungen für den Aufbau einer Konsumgüterindustrie zu schaffen und zu importieren), anderseits die Freistellung von Budgetmitteln dafür. Es kann nur in Konsequenz bedeuten, auf längere Sicht die Militär- auagaben zu beschneiden. Symptom dieser möglichen Entwicklung mag auch sein, daß die oberste militärische Führung wiederum keinen Vertreter im Politbüro haben wird, ja, daß der Primat der Partei vom Parteitag nicht nur formal bestätigt, sondern auch in den Streitkräften faktisch zementiert werden dürfte. Mehr Handel mit dem Westen und weniger Militärausgaben — das wäre eigentlich durchaus ein Entspannungskurs, wie ihn die Berufsoptimisten im Westen auch glücklich zu interpretieren glaubten.

Aber spätestens seit der in der Weltgeschichte eigentlich famosen Pingpong-Diplomatie Chinas drehten sich die Antennen im Kreml wieder nach Ost. Denn das offensichtliche Tauwetter bestätigte nur das, was man als Alptraum in Moskau nur leise zu flüstern wagte: Chinesen und US- Amerikaner müssen irgendwo bereits bisher Geheimkontakte gepflogen haben — und die Pingpong-Diplomatie ist nur der erste Schritt zur größeren Näherung. Eine solche Näherung, ja Annäherung, versteht man im Kreml aber seit jeher als die Super-Zange, die sich im Triplė- Spiel nicht schließen darf.

Denn was müßte auch das erste greifbare Resultat einer Annäherung zwischen Peking und Washington sein? Offensichtlich doch nach amerikanischen Vorstellungen eine geduldete Entlastung im Indochinakrieg, der ohne Pekings Hilfe für Hanoi nur mit einer raschen Vietnamisierung de-eskaliert werden kann. Das aber bedeutet für die US-Strategen wiederum mehr Geld für die sowieso vernachlässigte Heim-Rüstung, die nicht mehr im Dschungel von Laos verpulvert, sondern in brauchbare Silos für Anti-Raketen-Raketen gesteckt werden könnte. Im Waffen- poker könnten die USA also wieder die Oberhand bekommen.

Wieweit dieser Langfristigkeit eine Bestätigung auf kurzem Weg zukommt, könnten schon die SAL- Gespräche in Wien in sehr kurzer Zeit zeigen. Verhärten sich die Sowjets, ist ihre Angst vor der chinesisch-amerikanischen Zange stärker als die Sorge um die Aufsässigkeit der Massen im eigenen Land.

Eine solche Entwicklung aber würde auch die Verhärtung der sowjetischen Außenpolitik ganz allgemein begünstigen. Moskau braucht in diesem Fall die Hilfe eines treuen Ostblocks; vor allem auch seines treuen Vasallen in Ost-Berlin. Breschnjews Entscheidung wird daher schon bald am Tisch der Berlin-Verhandlungen zu hören sein. Es steht die Frage im Raum, ob die Bundesrepublik die Sowjets — und das heißt Breschnjew — tatsächlich dazu bringen kann, in dieser Frage weniger Rücksicht auf Ulbricht und seinen Preußensozialismus zu nehmen.

Denn der Zeitdruck ist offensichtlich in Bonn größer als in Moskau. Die sozialliberale Koalition wird vor dem deutschen Wähler irgendwann Erfolge aufweisen müssen, will sie nicht den von der Opposition genährten Vorwurf bestätigen, die so großartig angekündigte Ostpolitik hat Schiffbruch erlitten. Breschnjew aber mag auch deshalb warten, weil ihm die deutschen Kaufleute auch ohne Ratifizierung seines Vertrages sowieso die Tür einrennen.

Alles das vollzieht sich noch hinter dem Nebel der Spekulation. Aber es bleibt für die Sowjets — Parteitag hin, Weltraumerfolg her — dennoch nach Wie vor das bemerkenswerte Paradoxon bestehen: Eine innenpolitisch „weiche” Welle kann nicht mit einer „harten” Außenpolitik verbunden werden. Der Wohlstand von Breschnjews Untertanen hat seinen Preis.

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