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Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter

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„Die Frau für den Import-Abortus” (FURCHE 39/1979) sorgt jetzt im Ausland Tür Schlagzeilen und im Inland für Aufregung. In großer Aufmachung berichtet die deutsche Illustrierte „Stern” (Heft vom 29. Mai 1980), was FURCHE-Leser seit acht Monaten wissen und Ärztefunktionäre wie Gesundheitspolitiker damit auch wissen müßten:

Michaela Radauer, praktische Ärztin in der Wiener Gutenberggasse, in deren Ordination am Fließband abgetrieben wird, zahlt ausländischen Kollegen für ihre Zutreiberdienste nach dem Ärztegesetz verbotene, daher als Nachbehandlungshonorare getarnte Provisionen.

Um noch größer ins Geschäft zu kommen, bewarb sich Radauer um die gesundheitsbehördliche Bewilligung Tür eine Abtreibungsklinik, blitzte aber mit ihrem Wunsch ab (FURCHE 11/1980).

Den nächsten Schritt verabsäumten Gesundheitsbehörde und ärztliche Standesvertreter: auch sonst der skrupellosen Geschäftemacherin das Handwerk zu legen.

Unter hygienisch katastrophalen Bedingungen, berichtet „Stern”-Redak-teurin Uta König, die sich, als ungewollt schwangere Patientin getarnt, bei Radauer umgesehen hat, werde hier abgetrieben. Und eine ehemalige Kundin schildert:

Eine Türkin, fälschlich als Putzfrau vermutet, entpuppe sich als Radauer-Assistentin; die Ärztin selbst mache einen „schmuddeligen Eindruck”; auf der Toilette ekelte sie sich, ganz zu schweigen von verschmutzten Wolldek-ken im Ruheraum.

„Mit Infektionen kommen die Frauen aus Wien zurück”, weiß denn auch der deutsche Frauenarzt Alexander Poleschal aus Neu-Ulm zu bemängeln. Er bestreitet zwar ebenso wie sein Münchner Kollege Gerhard Multerer, daß von ihnen verzweifelte deutsche Frauen in die Radauer-Praxis vermittelt werden, doch fiel er der Journalistin König prompt hinein: sie wurde unter ihrem angeheirateten Namen Eckert von ihm bereitwillig nach Wien zur Abtreibung überwiesen.

„6.000 Schilling zahlte die Stern-Redakteurin und staunte, daß niemand von ihr einen Schwangerschafts-Nachweis verlangte. Die Praxis-Inhaberin Dr. Radauer”, kommentiert die Illustrierte, „war nur am Geld interessiert und an dem Namen des überweisenden Arztes.”

Letztlich fiel der Journalistin der Entschluß, vor dem Eingriff die „unheimliche Praxis” zu verlassen, leicht: sie war ja nicht schwanger. Verzweifelte Frauen aber setzen ihr Leben aufs Spiel.

Radauer, die wegen ihrer Werbe-und Provisionslockmethoden bereits im Mai 1979 mit einer Disziplinarstrafe „der Untersagung der Berufsausübung für die Dauer von drei Monaten”, bei drei Jahren Bewährungsfrist, mild verdonnert wurde, muß nun unter Umständen mit einem Berufsverbot rechnen. Wenn sich diesmal ein Kläger findet.

Der Disziplinaranwalt der Ärztekammer könnte von selbst einschreiten. Oder er kann auf eine Anzeige warten. Oder es passiert das, was nach den Veröffentlichungen vor acht Monaten geschehen ist: nichts.

Eigentlich sollte sich da auch Gesundheitsminister Herbert Salcher interessiert zeigen: Ist er mit den Zuständen in der Radauer-Praxis einverstanden?

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