Aus der Frühzeit Rainer Maria Rilkes stammen die sechzig Aufsätze und Rezensionen, die aus sechzehn, längst schon der Geschichte anheimgefallenen Zeitungen und Zeitschriften entnommen sind. Richard von Mises hat sich als Herausgeber dieser notwendigen, so doch schwierigen Aufgabe unterworfen, die verstreuten Texte des Dichters in einem Band versammelt zu veröffentlichen.
Rainer Maria Rilkes geistige Entwicklung zwischen 1896 und 1905 fällt noch in jene Vorbereitungszeit, die ihn schließlich zu einem der größten Dichter unseres Jahrhunderts werden ließ und von der er meinte, daß'in ihr nichts geschehe, was mit
dem noch unformulierten Lebenswunsch und Lebensdrang des Menschen, der dabei reife, nicht im innigsten Einklang stünde.
Was den Zeitgeist der Jahrhundertwende anbetrifft, so hat der noch junge Dichter Wesentliches geleistet. Seine Arbeit als Rezensent und Kulturkritiker ist deswegen so vorbildhaft, weil sie die künstlerische Substanz von allen Seiten her beleuchtet, um sogar auch noch so epigonalen Tendenzen gerecht zu werden.
Mit stilistischer Brillanz ohnegleichen wird das Zeitalter besichtigt, seine Bestrebungen in luzidester Weise vorgestellt. Rilkes Kritiken treffen nicht immer die Großen der Dichtung und der darstellenden Kunst, aber in ihrer Nachdenklichkeit über das Wesen des Kreativen sind sie außerordentliche Zeugnisse für das achtsame Verständnis einer Kultur, die noch nicht die rasch wechselnden Trends und Moden benötigte, um die Menschen rastlos umzutreiben.
Die hervorragend dokumentierte Aufsatzsammlung könnte auch jetzt noch grundsätzliche Impulse setzen, die eine nicht nur sprachlich verarmende Kulturberichterstattung bitter nötig hätte.
RAINER MARIA RILKE: BÜCHER, THEA TER, KUNST. Aufsätze 1896-1905. Herausgegeben von Richard von Mises. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1991.232, Seiten, öS 177,80.
