Hans Albert - © Foto: © Evelin Frerk / Giordano-Bruno-Stiftung

Hans Albert: Anti-Münchhausen, der sich nach oben irrte

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Der Philosoph Hans Albert ist im Alter von 102 Jahren verstorben. Er wird auch als Spiritus rector des Forum Alpbach in Erinnerung bleiben.

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Der Philosoph Hans Albert ist im Alter von 102 Jahren verstorben. Er wird auch als Spiritus rector des Forum Alpbach in Erinnerung bleiben.

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Am Friedhof von Alpbach liegt Physik-Nobelpreisträger Erwin Schrödinger begraben. Von Schrödingers Grab aus sieht man über der Friedhofsmauer den Böglerhof, in dem auch Hans Albert während seiner Alpbacher Sommerfrische, besser Denkerfrische, wohnte. Auf der anderen Seite der Friedhofsmauer beschreibt Alberts Philosophie. Sein Denken stand für Transparenz statt Transzendenz. So wie Schrödinger führte den deutschen Philosophen Albert das Europäische Forum Alpbach ins Tiroler Bergdorf – und ließ ihn zeit seines Lebens nicht mehr los.

Vom heutigen Komfort eines Böglerhofs war 1955, als Albert das erste Mal zum Forum kam, keine Rede. Man wohnte in Bauernhäusern ohne fließendes Wasser, die Seminare fanden in Gaststuben statt, erinnerte sich Albert in einem FURCHE-Artikel an seine ersten Sommer in Alpbach: „Aber die Primitivität der äußeren Umstände wurde ausgeglichen durch eine Intensität des geistigen Austauschs, wie ich sie später nirgends mehr erlebt habe.“ Das soll was heißen, denn Alberts lebenslanges Philosophieren steht für lebenslanges Streiten um das bessere Argument, für Klarheit, Kritikfähigkeit und die Akzeptanz alternativer Denkansätze. Das Forum Alpbach war für ihn „das Paradebeispiel der Entfaltung einer offenen Gesellschaft im Sinne Karl Poppers, ein ‚freier Marktplatz der Ideen‘ und ein Experimentierfeld für das Popper‘sche Modell“. Albert lernte Popper in Alpbach kennen, sein Denken schätzen und wurde in seinem Gefolge zum Wortführer und Verteidiger des Kritischen Rationalismus.

Der Rest ist Philosophiegeschichte: angefangen vom „Positivismusstreit“ in den 1960ern mit den Vertretern der Kritischen Theorie – Theodor W. Adorno (auch er Alpbach Gast) und Jürgen Habermas. Mit Zweiterem gerät Albert im „Historikerstreit“ noch einmal aneinander, wie auch mit anderen Philosophie-Größen wie Hans-Georg Gadamer oder Karl-Otto Apel. Ging es um die Theologie, schaffte es Albert, die Positionen von zwei so unterschiedlichen Polen wie Hans Küng und Benedikt XVI. gleichermaßen zu kritisieren. Berühmt wie umstritten ist Alberts „Münchhausen-Trilemma“: Mit menschlicher Vernunft können wir uns nie aus dem Sumpf der Fehlbarkeit in allen Bereichen der Erkenntnis herausziehen. Was der Mensch aber kann und als ethische Verpflichtung auch soll, ist, sich in offenen, vorurteilsfreien und realitätsbezogenen Diskussionen weiter zu denken, nach oben zu irren. Am 24. Oktober ist Hans Albert im 103. Lebensjahr gestorben.

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