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Ungeschriebene Geschichte

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Um die Jahrhundertwende gab es im obersteirischen Ort Trofai-ach eine Art Kolonie von Wiener Künstlern, die dort in eigenen Villen den Sommer verbrachten. Einer war der Bassist der Hofoper Ferdinand Haschkowetz, mit Künstlernamen Ferdinand Marian. Sein Sohn wurde unter diesem Namen einer der bekanntesten und gegen Ende seines Lebens umstrittensten Schauspieler der deutschen Bühne und des Films.

Er begann seine Laufbahn am Grazer Schauspielhaus, ging 1927 nach Deutschland und spielte 1933 am Hamburger Schauspielhaus. Bald wurde er zum gesuchten Darsteller von Charakterrollen im Film. Otto Falkenberg, Intendant der Münchner Kammerspiele, nannte ihn einen „schwerblütig-genialen, gelassenerotisch faszinierenden Helden”. 1939 begann seine persönliche Katastrophe. Goebbels erteilte allen Filmgesellschaften den Auftrag zu einem antisemitischen Film. Der Schriftsteller Ludwig Metzger bot einen „Jud Süß” an, den er schon vor Lion Feuchtwanger geschrieben hatte. Neben Marian wurden auch Paul Dahlke, Gustav Gründgens und Rene Deltgen zu Probeaufnahmen geholt. Sie trugen einen seltsamen Wettbewerb aus: Jeder spielte so schlecht er konnte, denn keiner wollte diese Rolle haben. Schließlich wurde Marian zu Goebbels zitiert, der ihm unmißverständlich klar machte, daß eine Weigerung nicht in Frage käme.

Er rettete sich, indem er die Gestalt des Joseph Süß Oppenheimer zu einem Menschen machte, nicht zu einem Scheusal. Doch von da an wurde er mit dieser Rolle identifiziert. Nach dem Krieg erhielt er Auftrittsverbot und kam bei einem Autounfall am 9. August 1946 bei München ums Leben. Gerüchte von Selbstmord oder

Mord sind nie verstummt, aber unhaltbar.

Zum 50. Todestag veranstalteten die Stadtgemeinde Trofaiach und die Steirische Kulturinitiative ein Symposium. Friedrich Kniiii, Medienwissenschaftler an der TU Rerlin und die Grazer Historiker Helmut Konrad und Christian Fleck stellten Marian und seinen „Jud Süß” in einen größeren Rahmen, gingen jedoch nicht auf die schwierige Situation in der Nazi-Zeit ein. Da kam der Vorwurf, Marian sei nicht emigriert, ohne zu erwähnen, daß diese Flucht schon unmöglich war. Walter Benjamin und Joseph Schmidt zahlten mit dem Leben dafür.

Unerwähnt blieb auch,' daß Schauspieler, die den Nazis als Parteigenossen und Spitzel gedient hatten, nach 1945 in hohen Ehren weiterspielten und bis heute als unangetastete Größen gelten. Die Geschichte der verhinderten Emigration bleibt noch zu schreiben.

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