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Wege und Irrwege

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Wir bringen diesen Beitrag, weil er ein Thema berührt, das durch die von )ahr zu Jahr enger werdende Begegnung der Religionen untereinander nicht nur interessant, sondern auch höchst bedeutungsvoll ist. Der Autor hat nach unserer Meinung die Entwicklung der Religionswissenschaft und deren heutigen Stand richtig beurteilt. Die Gefahr des Synkretismus und Relativismus ist ohne Zweifel nicht gering. Die Redaktion

„Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?“ Als Nietzsche 1886 in seiner „Fröhlichen Wissenschaft“ den „tollen Menschen“ diese Sätze sagen ließ, war dies die exakte Rückschau auf die Überheblichkeit seines Zeitalters und die exakte Vorhersage des kommenden Absturzes — die existentielle Summe des 19. Jahrhunderts.

Die Generalformel paßt, wie sich's gehört, auch auf den Spezialfall: auf die Religionswissenschaft. Seit dem Einbruch des Entwicklungsgedankens

— richtiger, seitdem dieser vom Kopf auf die Füße gestellt wurde, das heißt statt geistig, wie zuletzt bei Hegel, materiell-biologisch, wie zuerst bei Spencer, aufgefaßt wurde — hatte sich Gott aus der von ihm handelnden Wissenschaft verflüchtigt. Jede neu in den Gesichtskreis der Forschung tretende, wirklich oder auch bloß vermeintlich religiöse Teilerscheinung bei den alten Kultur- oder rezenten Naturvölkern wurde flugs zur „ältesten Religion der Menschheit“ ernannt, von welchem Zustand aus dann die Evolution nach oben, zu den monotheistischen Religionen, fortgeschritten sei.

Da mit dem Anwachsen des frühgeschichtlichen und völkerkundlichen Stoffes immer neue derartige „Ur-religionen“ entdeckt wurden, schob man die bisher schon bekannten auf der Entwicklungsstufenleiter jeweils eine Sprosse höher. Die Leiter wurde folglich immer länger, immer kunstvoller, immer realitätsferner; was sie darstellte, war nicht die Entwicklung der Religion, sondern die Entwicklung der Religionswissenschaft.

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