"Schickt Helmut Kohl nach Kärnten"

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Daniel Cohn-Bendit, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Europaparlament, war Gast beim letztwöchigen "Green Summit" in Wien. Cohn-Bendit kritisierte dabei Österreichs "ratlose Ratspräsidentschaft": "Wenn alle nichts sagen, moderieren wir das Nichts." - Mit der furche sprach er über Ortstafeln, die EU-Verfassung und Vorwürfe, er sei ein Verräter.

Die Furche: Herr Cohn-Bendit, Sie unterstützen mit Ihrer Unterschrift die von der Plattform "Pro Kärnten/Za Koroska" gestartete Patenschaftsaktion zu Gunsten der Aufstellung weiterer zweisprachiger Ortstafeln in Kärnten - warum?

Daniel Cohn-Bendit: Das ist doch eine Selbstverständlichkeit - in Südtirol gibt es Ortstafeln in zwei Sprachen, im Elsaß gibt es das, und in anderen mehrsprachigen Regionen Europas gibt es das auch. Ich will die Sache nicht zu sehr hochspielen, aber Österreich ist ein normales europäisches Land, und Kärnten ist eine normale europäische Region - und deswegen soll man hier zu einer vernünftigen Normalisierung kommen.

Die Furche: Das Erkenntnis des österreichischen Verfassungsgerichtshofes auf Biegen und Brechen umsetzen würden Sie also nicht.

Cohn-Bendit: Das sollte Helmut Kohl machen, der hat ja Erfahrung damit; der hat irgendwann einmal als deutscher Bundeskanzler eine Zaunbarriere zwischen Frankreich und Deutschland niedergerissen. Helmut Kohl als großer Europäer (lacht) sollte nach Kärnten fahren und die zweisprachigen Ortstafeln einpflanzen. Das würde auch weniger Angst machen, als wenn ich das mache...

Die Furche: Er hat auch mehr Gewicht...

Cohn-Bendit: ... in dieser Sache.

Die Furche: Ein Thema, bei dem Ihre Stimme Gewicht hat, ist die Zukunft der eu-Verfassung. Wie soll es damit weitergehen?

Cohn-Bendit: Der Grüne Johannes Voggenhuber und der Liberale Andrew Duff haben mit ihrer Initiative im eu-Parlament den Ausweg aus der Verfassungskrise formuliert: Ihr Vorschlag, der vom Parlament mit großer Mehrheit angenommen wurde, sieht die vorliegende Verfassung als Orientierung; aber man kann in den Ländern, wo er abgelehnt wurde, nicht den gleichen Text erneut zur Abstimmung stellen.

Die Furche: Ziel ist also eine überarbeitete, neue Verfassung.

Cohn-Bendit: Der Text muss vereinfacht werden - von einem neuen Konvent oder in welcher Form auch immer. Die Aufgabe der Institutionen, die Grundrechte, die öffentlichen Dienstleistungen - all das sollte in einem fundamentalen Grundgesetztext zusammengefasst und 2009 in einem gesamteuropäischen Referendum verabschiedet werden.

Die Furche: Jetzt war es schwierig genug, sich einmal auf eine Verfassung zu einigen - fürchten Sie nicht ein Scheitern des Projekts, wenn die Karten wieder neu gemischt werden?

Cohn-Bendit: Das ist schon richtig, die Gefahr gibt es, aber wie wollen Sie das sonst machen? Wollen Sie den Franzosen sagen: "Passt mal auf, trinkt noch einmal eine Flasche Wein, und dann geht noch einmal abstimmen - alles wird gut, es tut nicht weh..." Sie müssen mit der Situation umgehen, dass zwei Länder Nein gesagt haben; Sie müssen auch mit der Situation umgehen, dass andere Länder Ja gesagt haben - und deshalb glaube ich, dass ein überarbeiteter Text eine Möglichkeit für die einen und die anderen Länder wäre, neue Wege zu gehen.

Die Furche: Im Vorfeld des Verfassungsreferendums in Frankreich wurden Sie von attac-Aktivisten mit Eiern beworfen. In Österreich haben Pazifisten Johannes Voggenhuber wegen seines Eintretens für die Verfassung zum "Stahlhelm der Woche" gekürt - zeigen sich da Brüche zwischen den Grünen und diesen nahe stehenden Organisationen?

Cohn-Bendit: Man soll diese Verbalattacken nicht dramatisieren. In Frankreich hat sich die polarisierte Stimmung gelegt. Es gibt jetzt vernünftige Diskussionen zwischen denen, die Ja, und denen, die Nein gesagt haben. Die Stimmung dreht; viele, die Nein gesagt haben, spüren heute, dass dieser berühmte Plan B nicht existiert. Jetzt müssen wir uns alle fragen, wie wir zur richtigen Verfassung kommen, denn wir brauchen sie. Und was die Eier betrifft: Als Politiker darf man nicht so dünnhäutig sein.

Die Furche: Und wenn man Sie "Verräter" schimpft, der die "hehren Ziele" aufgegeben hat.

Cohn-Bendit: Was heißt da "hehre Ziele"? Im Laufe der Zeit haben sich eben unsere Einsichten geändert: Ich, wir lernen etwas dazu, anderes legen wir ab. Die hehren Ziele einer Demokratisierung, einer freieren Gesellschaft, die haben wir nicht verraten. Der Unterschied zu früher liegt darin, dass wir heute glauben, anders dort hinzukommen. Und zum Verräter: Wenn ich an Manès Sperber denke - mit so jemandem gleichgesetzt zu werden, ist eine Ehre, da reagiere ich gelassen.

Die Furche: Plädieren Sie für dieselbe Gelassenheit gegenüber dem aktuellen Anti-eu-Volksbegehren der fpö?

Cohn-Bendit: Ja, denn damit werden doch nur Vorurteile genährt, die den Österreichern Energie wegnehmen, anstatt mit dieser Energie Europa so zu gestalten, wie wir es haben wollen. Denn Österreich wird die großen Probleme - ob Klimaschutz, ob Globalisierung, ob Sicherheit - allein nicht lösen können.

Die Furche: Zur Sicherheit: In Österreich hat es unlängst den umstrittenen Vorschlag gegeben, die französischen und britischen Atomwaffen zu europäisieren - was halten Sie davon?

Cohn-Bendit: Das ist ein langer Prozess und setzt eine Welt voraus, die wir heute nicht haben. Marx hat gesagt: Eine Gesellschaft soll sich immer die Fragen stellen, die sie beantworten kann. Diese Frage können wir auf absehbare Zeit nicht beantworten. Jede Debatte darüber ist eine Scheindebatte. Sie werden den Franzosen und Briten die Atomwaffen jetzt nicht wegnehmen können. Dann soll man das doch einmal so lassen, wie es ist, weil wir sonst ständig gegen die Wand fahren. Was wir aber jetzt entscheiden müssen und können, sind die nächsten Schritte zu einer europäischen Sicherheits-und Friedenspolitik - wissend, dass es diese Atomwaffen gibt.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Der Grüne "Dany, le Rouge"

Charles de Gaulle hat er zur Weißglut gebracht, und auch in Deutschland galt er vielen Politikern lange als rotes Tuch: Mehr noch als sein Freund Joschka Fischer wird Cohn-Bendits Name mit Hausbesetzungen, Straßenkämpfen und politischer Agitation in Verbindung gebracht. 1945 im französischen Montabaun als Sohn eines nach der Machtergreifung der Nazis aus Deutschland emigrierten Anwalts geboren, stieg Cohn-Bendit schnell zum Anführer der 1968er-Studentenunruhen auf. Schließlich wurde der nicht nur wegen seiner Haarfarbe landesweit als "Dany, le Rouge" bekannte deutsche Staatsbürger aus Frankreich ausgewiesen und fand in Frankfurt am Main seine zweite Heimat. Auch dort hatte der wortgewaltige sowie stets ungewöhnlich offen und freimütig redende Rotschopf schnell eine wichtige Rolle in der Protestbewegung. Cohn-Bendit lebte in Wohngemeinschaften unter anderem mit Joschka Fischer, aber auch mit dem späteren opec-Attentäter Hans-Joachim Klein. Seine Kontakte nutzte er später zu Vermittlungen zwischen Staatsgewalt und reumütigen Links-Terroristen. Ende der 1970er Jahre gehörte Cohn-Bendit zusammen mit Fischer zu den Wegbereitern der Grünen. 1994 zog Cohn-Bendit erstmals ins Europaparlament ein, obwohl ihn die Grünen nach seinem Plädoyer für ein militärisches Engagement zu Gunsten der bedrängten bosnischen Muslime mit einem schlechten Listenplatz abgestraft hatten. Bei der letzten Europawahl 2004 trat der mittlerweile innerhalb der Grünen unumstrittene Deutschfranzose erstmals als deutscher und sogar europäischer Spitzenkandidat an.

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