700 Dollar Kopfgeld für jedes Kind

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In Myanmar sollen alle Kindersoldaten aus der Armee entlassen werden. Doch der Prozess geht schleppend voran. Einer, dem der Absprung gelungen ist, erzählt der FURCHE seine Geschichte.

Wenn Aung Thiha spricht, dann langsam und leise. Sein schmales Gesicht rührt sich dabei nicht, nur seine Lippen formen vorsichtig Wörter. Über die Zeit vor drei Jahren redet er nicht gern. Doch heute ist er extra dafür in die Hauptstadt Yangon gefahren. Er will seine Geschichte erzählen.

Aung Thiha ist heute 19 Jahre alt. Er ist der älteste von drei Geschwistern, und als er die Mittelschule abgeschlossen hatte, musste er arbeiten gehen. Was genau, wusste er nicht. Als ihn bei einer Bushaltestelle ein Mann ansprach, der ihm einen Job als Chauffeur anbot, und rund 200 Euro im Monat dafür versprach, glaubte er zuerst, das große Los gezogen zu haben. Doch er merkte schnell, dass er dem Falschen vertraut hatte. Aung Thiha war 16, als er für die burmesische Armee rekrutiert wurde.

5.000 Kindersoldaten in Myanmar

In Myanmar, wo teils bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen, werden Kinder nicht nur von der offiziellen Armee, sondern auch von Rebellengruppen eingesetzt. Kinderschutzorganisationen wie World Vision machen schon seit einem Jahrzehnt auf die dramatische Situation aufmerksam. Doch erste Fortschritte gibt es erst, seit vor zwei Jahren eine zumindest formal zivile Regierung die Militärjunta ablöste, die jahrzehntelang brutal geherrscht hatte. Präsident Thein Sein, der am Montag zu Besuch in Wien war, und am selben Tag als Anwärter für den Friedensnobelpreis nominiert wurde, unterzeichnete im Juni ein Abkommen mit dem Kinderhilfswerk UNICEF, in dem er sich verpflichtete, alle Minderjährigen aus dem Armeedienst zu entlassen, und keine neuen Kinder mehr einzustellen. In einem ersten Schwung wurden im September 42 Kinder entlassen, im Februar weitere 24. Doch rund 5.000 Minderjährige, schätzt die International Labour Organization (ILO), kämpfen immer noch in Myanmar.

Das Drama beginnt mit der Rekrutierung. Unter Vortäuschung falscher Tatsachen werden Burschen wie Aung Thiha von Mittelsmännern angelockt. Die bringen sie direkt in die militärische Trainingsschule. Der Bursch glaubte, er sei am Weg nach Mandalay, als er von seinem Schlepper in einem Militärcamp abgesetzt wurde. Weil er zu jung war, wurde er dort aber abgewiesen. Doch der Broker wollte auf sein Geld nicht verzichten und brachte ihn einfach zum nächsten Camp, zweihundert Kilometer entfernt. 120 Dollar Belohnung bekam der dafür, dass er einen neuen Soldaten brachte. Das war 2010. Zwei Jahre später wurde für Jugendliche schon 700 Dollar pro Kopf bezahlt, weiß man bei Wold Vision Myanmar.

Der Broker gab Aung Thiha gefälschte Dokumente und zwang ihn, zu sagen, dass er schon 18 sei. "Er drohte mit Gewalt und sagte, er würde auch meinen Brüdern etwas tun, wenn ich ihm nicht folge.“ Deshalb wurde er ins Militärtraining eingeschrieben, der Drill begann gleich am nächsten Tag: Tagwache um vier, dann Ausdauersport, nach dem Frühstück Kampf- und Krafttraining bis vier Uhr nachmittags. Danach wurde geputzt, zu Abend gegessen und bis 21 Uhr wurden Militärlieder gesungen. "Die jüngsten Soldaten waren 12 oder 13 Jahre alt, und alle wussten das“, erzählt Aung Thiha: "Aber sie wurden von den Ausbildnern gezwungen zu rauchen und Betelnüsse zu kauen, damit sie älter ausschauen.“ Vier Monate dauerte das Training, bevor die Rekruten einsatzbereit waren.

Seine Mutter durfte Aung Thiha in der Zeit kein einziges Mal anrufen, um ihr zu sagen, wo er gelandet war. Und Widerstand gegen die Ausbildner war zwecklos, meint er: "Ich habe überlegt, ob ich nicht einfach weglaufen soll. Aber ein Junge, der das versucht hat, wurde erwischt und brutal bestraft.“ Die Einschüchterung, die der heute 19-Jährige vor drei Jahren erfahren hat, ist bis heute nicht aus seinem Gesicht gewichen.

Sein Glück war, dass seine Mutter das Verschwinden des Sohnes nicht einfach hinnehmen wollte. Sie kontaktierte die Polizei, NGOs und auch die ILO. Die entlarvte ihn schließlich als minderjährigen Soldaten und setzte seine Entlassung durch. Vier Monate, nachdem er in den Wagen des vermeintlichen Arbeitsvermittlers gestiegen war, durfte Aung Thiha als freier Mensch endlich wieder nach Hause fahren.

Geschichten wie diese kennt man zuhauf bei World Vision Myanmar: "Auch wenn die jüngsten Entwicklungen positiv sind, muss noch viel getan werden“, meint Ohnma Win Pe, die Leiterin der Kinderschutz-Abteilung: "Vor allem muss man die Mittelsmänner und Rekruter, die Dokumente fälschen, aufhalten und bestrafen.“ Dass diese Praxis auch nach der feierlichen Unterzeichnung des UNICEF-Abkommens noch gang und gäbe ist, belegt auch ein Bericht der Organisation "Child Soldiers International“. Immer noch rücken im verarmten, aber hochmilitarisierten Myanmar Minderjährige in die Armee ein. "Es muss eine verlässliche Altersfeststellung bei der Rekrutierung geben, damit man dem Missbrauch durch Broker entgegenwirkt,“ fordert deshalb "Child Soldiers International“-Chef Richard Clarke.

Ein Leben nach der Armee

Auch die Rebellengruppen, die Kindersoldaten beschäftigen, müssen in den Entlassungs-Prozess involviert werden. Einige haben noch vor der Regierung verboten, Minderjährige einzurücken. Andere stehen immer noch im Verdacht, Kinder zu rekrutieren: "Kinder, die zu ethnischen Minderheiten gehören, sind besonders verletzlich“, weiß Ohnma Win Pe.

Im Abrüstungs-Plan muss schließlich auch an die Zukunft gedacht werden, an das Leben nach der Armee. Dafür sorgt ein Programm unter der Obhut von UNICEF, das in den letzten Jahren insgesamt 350 Kinder reintegriert: Sie können einen Schulabschluss nachmachen, bekommen eine Ausbildung oder sogar einen Job vermittelt. Auch Aung Thiha wurde davon aufgegangen. Nach seiner Heimkehr organisierte ihm der Programmpartner World Vision eine Lehrstelle als Schweißer. Heute arbeitet er auf einem Schiff: "Das möchte ich mein ganzes Leben machen“, sagt er, "zur Armee gehe ich um keinen Preis zurück.“

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