Ein bißchen Frieden ist zuwenig

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Der Krieg, den keiner kennt: Aushungern von Dörfern, Zwangsarbeit und Verschleppung sind in Myanmar seit zehn Jahren auf der Tagesordnung - und vielleicht am besten Weg zur internationalen Legitimation.

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Der Krieg, den keiner kennt: Aushungern von Dörfern, Zwangsarbeit und Verschleppung sind in Myanmar seit zehn Jahren auf der Tagesordnung - und vielleicht am besten Weg zur internationalen Legitimation.

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Goldene Tempelanlagen von Mandalay bis Bagan. Meditierende Pilger unter zimmergroßen Glocken. Schlangen von roten Mönchen und rosa Nonnen, kahlgeschoren, die mit Sonnenschirm und Bettelschale über die grünen Hügel des alten Burma ziehen - Bilder eines Friedens, zu dem die ausgebrannten Panzer im Land der Mon nicht recht zu passen scheinen.

Die goldene Stille trügt. Schon die Geburt des unabhängigen Burma war von Mord und Totschlag begleitet: Als die britische Krone 1948 ihre Kolonie in eine ungewisse Zukunft entließ, war Bogyoke Aung San, der Führer der Freiheitsbewegung, bereits ermordet. 52 Jahre danach kämpft seine Tochter, Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, einen leidenschaftlichen Kampf gegen die Militärjunta, die den Erdrutschsieg ihrer NLD (Nationale Liga für Demokratie) bei den ersten demokratischen Parlamentswahlen im Mai 1990 annuliert hatte. Der neu gegründete "Staatsrat zur Wiederherstellung von Gesetz und Ordnung" (SLORC) änderte kurzum den Landesnamen auf "Union of Myanmar" und ersetzte nahezu alle Ortsnamen: Der vorläufige Höhepunkt einer jahrhundertelangen Geschichte um die Vorherrschaft im Vielvölkerstaat des kolonialen "Hinterindien", wo 35 Prozent der 48 Millionen starken Bevölkerung als ethnische Minderheiten und potentielle Rebellen gelten.

Offiziell werden 135 Stammesgruppen anerkannt, die zu sieben Hauptethnien zusammengefaßt wurden: Shan, Mon, Karen (Kayin), Kayah, Chin, Kachin und Rakhine. Ihr Recht auf Staatsbürgerschaft verworren wie im gesamten Länderfünfeck zwischen Indien, China, Thailand, Laos und Myanmar, wo die Kolonialmächte seinerzeit willkürlich Grenzen quer durch die Siedlungsgebiete zogen. Was könnte die Fragwürdigkeit der einseitigen Ethnoklassifizierung eher verdeutlichen als das Fehlen der Birmanen (Bamar), die 65 Prozent der Bevölkerung stellen - das subtile Ziel scheint die Marginalisierung aller nicht-birmanischen Ethnien.

Buddhismus ist die Staatsreligion, eigenes Ministerium inklusive. Der Frieden täuscht, denn die Assimilierung von Andersgläubigen ist eines der nationalen Ziele. Die Vertreibung von 250.000 Rohingya-Moslems aus dem Rakhine-Staat nach Bangladesch bewirkte 1992 Wirtschaftssanktionen der islamischen Welt; wer nicht floh, wurde umgehend als Zwangsarbeiter und Träger für die Streitkräfte rekrutiert. Seit 1995 wurden 300.000 Shan zwangsmigriert. Die Brandschatzung christlicher Kirchen des Chin-Volkes an der indischen Grenze hat genauso Tradition wie die Hatz auf Karen im Grenzgebiet zu Thailand, die vielfach zwangsevakuiert werden. Kevin Heppner von der Karen Menschenrechtsbewegung sieht die Lage schlimmer werden: "Sie können nicht mehr auf ihre Felder, ohne verschleppt oder erschossen zu werden. Wie sollen sie überleben?"

Seit 1989 ist etwa eine Million Angehöriger von ethnischen Minderheiten vor der brutalen Säuberungspolitik der "Tatmadaw", der burmesischen Streitkräfte, über die Landesgrenzen geflüchtet - oft verfolgt von Killerkommandos der "Democratic Kayin Buddhist Army" im Sold der Junta, die auch vor Attacken auf die Flüchtlingslager in Thailand nicht zurückschreckten. Daß weder die Nachbarn Bangladesch, Indien und Thailand noch die meisten ASEAN-Staaten die Flüchtlingscharta der Vereinten Nationen unterzeichnet haben und Tausende Flüchtlinge postwendend zurück deportiert werden, macht die Sache nicht leichter.

Der Stachel im feisten Fleisch der Militärs heißt immer noch Aung San Suu Kyi. Von 1989 bis 1995 unter Hausarrest, ist die Generalsekretärin der NLD seither in zensurierter Opposition, darf Yangon nicht verlassen und ist abgeschirmt von Anhängern und Familie - der langsame Krebstod ihres britischen Ehemannes Michael Aris, Professor für Tibetologie in Oxford und ohne Chance auf eine letzte Begegnung mit seiner Gemahlin, war Ende März 1999 der bisherige tragische Höhepunkt. Die Junta hält über 500 Parteimitglieder und selbst 80 gewählte NLD-Parlamentarier nach wie vor inhaftiert, verlautbart gleichzeitig Massenaustritte aus der NLD und verweigert konsequent jeden Dialog mit Suu Kyi. Kontakte mit der Außenwelt sind derzeit nur durch Stellungnahmen und Appelle auf Video möglich, die unter Lebensgefahr außer Landes geschmuggelt werden. "1998 war das Jahr der brutalsten Unterdrückung seit langem. Die aktive Stärke unserer Partei schwindet, dafür gewinnen wir internationale Unterstützung", zeigt sie sich dennoch weiterhin zuversichtlich.

Ächtung durch die EU Internationale Hilfe ist auch dringend nötig. Seit 1996 haben Mitglieder der Regierung Myanmars Einreiseverbot in EU-Staaten und in die USA, die sämtliche Investitionen auf Eis gelegt haben. Solange die Handelsbeziehungen zumindest mit asiatischen Partnern florierten, bestand für die seit 1990 illegal amtierenden Militärs auch kein Anlaß zur Veränderung: Von 1992 bis 1996 stieg das BIP um jährlich 7,5 Prozent, und statt der 8.000 ausländischen Touristen 1990 ließen sich 1997 angeblich bereits 380.000 vom Gold der Tempel blenden. Die Wirtschaftskrise der ASEAN-Nachbarstaaten, Haupthandelspartner in Zeiten internationaler Ächtung und ökonomischer Boykotts, zwang die Junta zu einer Änderung der Propagandastrategie: Da war Ende 1997 die Einrichtung des "Staatsrates für Frieden und Entwicklung" (SPDC) anstelle der SLORC, da wurde gleichzeitig Kooperation für gemeinsame Drogenbekämpfung in Aussicht gestellt, um internationale Gelder zu lukrieren. Die Verunglimpfungskampagne gegen Suu Kyi geht weiter. Motto: Ja zum Dialog, nein zu Suu Kyi, die - als (selbsternanntes) alleiniges Sprachrohr der Opposition - von der Propaganda konsequent zur Hauptschuldigen an der prekären Wirtschaftslage gemacht wurde. Der einstige größte Reisexporteur der Welt hat nahezu sämtliche Importe eingestellt. Myanmar scheint am wirtschaftlichen Bankrott, die hohen Budgetausgaben für militärische Zwecke haben das Land unter die zehn ärmsten Staaten der Welt eingereiht.

Die westliche Ächtung des Landes aus humanitären Motiven verstärkt weiter die Isolation und die sklavenähnlichen Strukturen im burmesischen Kernraum, wo unbezahlter Frondienst für Renommierprojekte - etwa die Verschönerung des Stadtkernes des historischen Tourismusmagneten Mandalay - an der Tagesordnung ist. "Crush the common enemy" steht in Riesenlettern auf blutroten Plakatwänden vor dem renovierten Fort, an dem die Rikschafahrer rascher als nötig vorbeirollen - und zum "gemeinsamen Feind" wird man rasch in einem Land, dessen Spitzelwesen so reibungslos funktioniert wie sonst wenig. Der Bau von Straßen und Bewässerungssystemen gilt als "Beitrag des Volkes zum Aufbau der Heimat", einer Heimat, der die Verschleppten aus den Nordprovinzen wohl wenig abgewinnen können. Bauern müssen Teile ihrer Reisernte weit unter dem Marktpreis an den Staat abtreten, dazu kommen Zwangsquoten zur Versorgung der rund 350.000 Soldaten, deren Truppenstärke seit 1989 fast verdoppelt wurde.

Perfektes Spitzelwesen Internationale Beobachter schätzen die Zahl der voneinander unabhängigen Gruppen von Regimegegnern auf knapp 40 - dazu zählen nationale oder ethnische Befreiungstruppen, Splittergruppen der chinesischen Kuomintang und die "Armeen" diverser Warlords, die vorwiegend in den Grenzregionen zu Thailand und China operieren, den Opiumhandel unter Kontrolle haben und längst im Besitz modernster russischer Raketen sind, wie etwa der legendäre Khun Sa, Herr des Rebellenstaates "Tailand" im südlichen Shan-Hochland. Die Truppengröße der Aufständischen variiert von 50 (Tai National Army, Palaung State Liberation Organisation, Kayah New Land Revolution Council) bis zu Zigtausenden (Mong Tai Army, Shan United Army) und alle kämpfen sie gegen die Militärregierung in Yangon, ein Ziel, das die oft untereinander verfeindeten inhomogenen Gruppierungen verbindet.

Für die ethnischen Säuberungen in den peripheren Randregionen wird stets der Kampf gegen den Drogenhandel ins Treffen geführt, was die internationale Haltung gegenüber der Militärjunta ambivalent gestaltet. Einerseits erfordert das Vorgehen gegen die Drogenbarone des "Goldenen Dreiecks" überregionale Kooperation, andererseits ist der vordergründige Kampf dem Opium vielfach bloße Legitimation für international finanzierten Völkermord.

Luther und Johnny Htoo, zwölfjährige Zwillinge und von den Karen wegen ihrer schwarzen Zungen als göttliche Wesen verehrt, galten als geistige Führer der jüngsten Guerrilla-Attacke auf ein thailändisches Spital in Ratchaburi. Die nur 100-köpfige Mission der "Gottesarmee" der von den kettenrauchenden Zwillingen übrigens Alkohol, Drogen und Fluchen untersagt war, mag gescheitert sein, doch die Minderheitenfrage ist nicht mehr hinter grünen Grenzen zu verstecken, auch wenn das Geiseldrama vorerst noch blutig beendet wurde. Bo Mya, Altpräsident der KNU und seit 50 Jahren Guerilla-Kämpfer für Unabhängigkeit und Freiheit der sieben Millionen Karen, sieht wenig Hoffnung auf Frieden: "Es ist unser Land. Sie verbrennen unsere Dörfer und vergewaltigen unsere Frauen. Wir müssen uns wehren ..."

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