Muslimen-Partei tritt in Holland an

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In den Niederlanden wird das politische Feld nicht mehr nur den Islam-Gegnern überlassen. Am 3. März kandidiert eine Muslimen-Partei – mit einem Konvertiten als Vorsitzenden.

Ein viel gefragter Mann ist Henny Kreeft dieser Tage. Hier ein Interviewwunsch, dort eine Frage zu den Ambitionen seiner Partei, dazwischen schnell noch die Live-Schaltung in eine Radiosendung. Ziemlich viel Aufwand für einen Kommunalpolitiker, noch dazu für einen, der fernab von Hollands Metropolen in Noordoostpolder tätig ist. Nicht nur in den Großstädten, auch hier, in der peripheren Beschaulichkeit der dem Ijsselmeer abgerungenen Provinz Flevoland, nimmt Anfang März eine muslimische Partei an den Kommunalwahlen teil. Ihr Vorsitzender Henny Kreeft hat eine besondere Vita: In Brabant geboren, römisch-katholisch aufgewachsen, engagiert beim Gewerkschaftsdachverband FNV – und dann konvertiert. Das weckt natürlich Neugier.

Stadtratssitz für „Islam Democraten“

Dabei ist Kreefts 2007 gegründete Nederlandse Moslim Partij (NMP) keinesfalls die erste ihrer Art. Bereits vor vier Jahren gewannen die „Islam Democraten“ in ihrer Hochburg Den Haag einen Sitz im Stadtrat. Auch auf Provinz- und Landesebene standen sie schon zur Wahl. Die Show jedoch stiehlt ihnen zuletzt die NMP mit dem Konvertiten Kreeft – und das liegt nicht zuletzt an dessen bewegter Vergangenheit. Die kräftige Statur, der graue Bart und die halblangen Locken des 52-Jährigen erinnern noch an den Gewerkschaftler. Seine kommunalpolitische Laufbahn begann er in den 1980ern bei der linksliberalen D66 in der Nähe von Utrecht. Nach einem Umzug verlor er die Bindung zur Partei, dann folgte ein jahrelanger Abstand zur Politik, und schließlich, so scheint es, 2002 die Zäsur: der Anschluss an die Lijst Pim Fortuyn, die Partei des ermordeten Populisten.

Man mag das „schillernd“ nennen, aber dahinter steckt weit mehr: Der Werdegang des Henny Kreeft gleicht nur auf den ersten Blick der willkürlichen Route einer Flipperkugel. Vielmehr liegen darin Parallelen zu einer Gesellschaft, die versucht, sich selbst zu definieren, und der das oft genug nur über den Ausschluss gelingt. Sozialdemokratie, liberale Toleranz, Multikulturalismus und offene Gesellschaft – dies waren die Schlagworte einer lange dominanten gesellschaftlichen Strömung. Das Aufkommen Pim Fortuyns gab zuvor diffusen Ressentiments eine Stimme – und dem Unbehagen über Zuwanderung und Integration ein politisches Gesicht. Tief gespalten sind die Niederlande seither: In die, die noch glauben an Offenheit und Integration, und die wachsende Gruppe derer, die von Leitkultur sprechen und Assimilation fordern. Im Zentrum dieser Debatte steht nach zwei politischen Morden an Islamkritikern mehr noch als anderswo just die Rolle von Muslimen.

„Oh ja, sie ist heftig hier, die Islamdebatte“, nickt Henny Kreeft. Als er in den späten 1980ern konvertierte und den Zwischennamen Abdelkarim annahm, konnte davon noch keine Rede sein. Und gedacht hätte er es auch nicht, dass sein neuer Glaube, entdeckt nach dem plötzlichen Krebstod einer guten Freundin, einmal ein brisantes Politikum würde. Persönliche Kontakte mit Muslimen brachten ihn dazu, das Gespräch mit einem Imam zu suchen. Die katholische Kirche, die er kannte, vermochte die Leere nicht zu füllen. Kreeft fühlte sich nie angezogen davon, ein Kruzifix anzubeten – und noch weniger von einem gelebten Katholizismus ländlicher Prägung, den er als „raus aus der Kirche, rein in die Kneipe“ beschreibt. Neben der Pflicht, anderen zu helfen, ist Respekt für andere Religionen für ihn gleichsam ein Grundprinzip des Islam. Dass die von Abraham abstammenden Monotheisten den gleichen Gott anbeten, ist für ihn ohnehin klar. „Zwischen Judentum, Christentum und Islam gibt es nur einen Zeitunterschied. Für mich ist die Thora Teil 1, die Bibel Teil 2 und der Koran Teil 3 des gleichen Buchs.“

Volksverhetzungsprozess gegen Wilders

Diese Ansicht ist alles andere als populär in einem Land, das seit Wochen über den Volksverhetzungsprozess gegen den Anti-Islam-Politiker Geert Wilders streitet. Der ist überzeugt vom Herrschaftsanspruch des Islam, nennt den Koran ob antisemitischer Passagen ein „muslimisches Mein Kampf“ und sieht in Zuwanderern aus arabischen Ländern Agenten der Islamisierung. Wenn Henny Abdelkarim Kreeft seine E-Mails mit „freundlichem Friedensgruß“ abschließt, mag das von Herzen kommen – und doch hat er damit ein Glaubwürdigkeitsproblem. Was, fragen sich Nichtmuslime, sagt er denn nun wirklich, der Koran? Kreeft antwortet: „Wer sucht, findet im Koran alles. Auch die Aussagen, die Wilders aufgreift. Sowohl Wilders als muslimische Extremisten beziehen daher ihre Argumente aus dem Koran.“ Die Meinungsfreiheit, auf die Wilders sich dabei beruft, endet für Kreeft indes „dort, wo andere sich angegriffen, beleidigt oder bedroht fühlt“.

Glaube als Vorwand zum Parteiausschluss

In diesem Punkt sieht der NMP-Vorsitzende auch den Unterschied zwischen Wilders und Pim Fortuyn: „Natürlich warnte auch Fortuyn vor Islamisierung. Aber er sagte ebenfalls, dass problematische marokkanische Jugendliche zu uns gehören, anstatt sie abschieben zu wollen.“ Fortuyn war bereits ermordet, als Kreeft eher aus Neugier auf einer Versammlung seiner politischen Hinterbliebenen landete. Und weil er als alter Aktivist nun mal „das Maul aufreißt“, drängte man ihn zur Kandidatur für einen lokalen Vorstandsposten. Abgesehen vom Thema Islam habe er Fortuyn durchaus zugestimmt: das Aufheben von Tabus, „alles muss zu diskutieren sein“, dazu die sozialkonservative Agenda, „der Arzt muss am Bett stehen statt Verwaltung betreiben, mehr Polizei auf den Straßen, kleinere Schulklassen“. Nach zwei Jahren endete die Parteikarriere des Muslims nach internen Streitigkeiten. Sein Glaube, sagt er, der bis zu diesem Punkt kein Problem gewesen sei, wurde nun zum Vorwand, ihn aus der Partei zu werfen. „Menschen ändern sich eben“ – so lakonisch kommentiert Henny Kreeft im Rückblick seinen Streifzug durchs politische Spektrum. „Aber die Lijst Pim Fortuyn“, gesteht er ein, „ich weiß nicht, ob das wirklich nötig war.“

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