Bürgermeister Ahmed tritt Amt an

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In der Niederländischen Hafenmetropole Rotterdam wird ab Jänner erstmals ein gebürtiger Marokkaner das Amt des Bürgermeisters antreten. Ein Novum für die Stadt des Rechtspopulisten Pim Fortuyn.

Kaum war der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl bekannt, begann in zahlreichen Ländern Europas eine Nabelschau. Wie, so die Gretchenfrage dieses Herbstes, steht es eigentlich hier mit der aktiven Partizipation von Minderheiten? "Der Obama von …" wurde zum eilig verliehenen Label für Migranten oder deren Kinder in prominenten politischen Positionen. In den Niederlanden, genauer gesagt in Rotterdam, ist diese Rolle seit kurzem besetzt: Ahmed Aboutaleb, der 47-jährige Sohn eines Imams aus dem marokkanischen Rifgebirge, wird im Januar neuer Bürgermeister der Hafenmetropole.

Da die Kandidatur des Sozialdemokraten erst kurz vor der Entscheidung der Wahlkommission bekannt geworden war, sorgte die Nachricht für einen gehörigen Knalleffekt; schließlich hatte nie zuvor in der Geschichte der Niederlande ein Zuwanderer ein vergleichbares Amt inne. Wiewohl sich die Verantwortlichen beeilten zu erklären, Abstammung und Religion hätten bei dem Beschluss keine Rolle gespielt, stand genau dies im Zentrum der Reaktionen. "Schön für Rotterdam und gut für das Land", titelte die Tageszeitung Trouw, und ein Sprecher des "Nationalen Rats der Marokkaner" bejubelte einen "prächtigen Moment", in dem die "marokkanische Gemeinschaft Geschichte schreibt". Die Partei "Leefbaar (Lebenswertes) Rotterdam" dagegen wetterte, ein Muslim mit zwei Pässen könne nicht der zweitgrößten Stadt des Landes vorstehen, und Geert Wilders, der notorische Lautsprecher der Volksseele und Streiter gegen die Islamisierung, wollte diese gleich in "Rabat an der Maas" umbenennen.

Brisante Koalition

Die Dreier-Konstellation aus Aboutaleb, Sozialdemokraten und Rotterdam bietet einige Brisanz. "Ausgerechnet hier", war ein häufiger Kommentar in den Niederlanden, denn die Hafenstadt, von deren rund 600.000 Einwohnern knapp die Hälfte ausländischer Herkunft ist, war vor sechs Jahren Ausgangspunkt der "Fortuyn'schen Revolte". Mit dem charismatischen Rechtspopulisten gewann eben jenes Leefbaar Rotterdam die Kommunalwahlen und verwies die bis dato stärkste Partei, die PvdA, in die Schranken. Dieser Erfolg löste landesweit eine aggressive Debatte über die Einwanderungs- und Integrationspolitik aus, in der Fortuyn einem lange verdeckt vor sich hin gärenden xenophoben Sentiment Stimme verlieh. Fortuyn selbst wurde nach wenigen Monaten erschossen, seine Agenda jedoch prägte weiterhin den politischen Diskurs. Multikulturalismus wurde zum Schimpfwort und die PvdA als seine realitätsfremde Agentin gebrandmarkt. Ist die Ernennung Ahmed Aboutalebs demnach eine Zäsur, ein Triumph für die Sozialdemokraten und diejenigen, die immer an Integration und eine offene Gesellschaft glaubten? Wird Rotterdam mit seinen 170 Nationalitäten einmal mehr Ausgangspunkt einer gesellschaftlichen Umkehr?

Emanzipatorischer Aspekt

Ein solcher emanzipatorischer Aspekt der Personalie Aboutaleb ist nicht von der Hand zu weisen. Dass ausgerechnet ein Marokkaner der erste Migrant ist, der die Geschicke einer niederländischen Großstadt lenkt, "ein Vertreter einer Gruppe, die für so viel Ärger sorgt", lag Ronald Sørensen, dem Gründer von Leefbaar Rotterdam, schwer im Magen. Marokkaner bilden die Unterschicht aller Zuwanderer in den Niederlanden, und längst nicht nur die weiße Bevölkerungsmehrheit schaut herunter auf eine Gruppe, die landesweit ein Synonym für Kriminalität, Chancenlosigkeit und Fundamentalismus ist. Farid Azarkan, der Direktor des "Marokkanischen Kooperationsverbands in den Niederlanden" sieht in der Ernennung denn auch ein Zeichen dafür, dass "Marokkaner, die sich anstrengen, in dieser Gesellschaft solche Positionen erreichen können."

Angestrengt hat sich Ahmed Aboutaleb zweifellos, seit er im Alter von 15 Jahren ins Land kam, in kurzer Zeit die Sprache lernte, erst Elektrotechnik studierte und dann als Journalist und Pressesprecher Karriere machte. Später war er Direktor eines Instituts für multikulturelle Entwicklung, bevor er eine Laufbahn in der Stadtverwaltung Amsterdams einschlug, wo er von 2004 bis 2007 Sozialdezernent war. Eine mustergültige Integration - und dennoch nur der Auftakt für Aboutalebs Aufstieg auf das ganz große Parkett. Entscheidender ist, dass er sich im richtigen Moment zu positionieren wusste. Nicht nur in den Niederlanden messen sich die politischen Aufstiegschancen eines Migranten am öffentlich demonstrierten Grad der Affirmation. Bis 2004 war Aboutaleb nicht mehr als ein hoffnungsvoller Lokalpolitiker in der Hauptstadt. Für höhere Aufgaben empfahl er sich, als er 2004 in der aufgeheizten Atmosphäre nach der Ermordung des Filmemachers Theo Van Gogh in einer Amsterdamer Moschee einen Appell an die Gläubigen richtete: Wer Kernwerte wie Meinungs- und Pressefreiheit nicht teilte, dem riet Aboutaleb zu einem One-Way-Ticket ins Herkunftsland. Er bezahlte diese Äußerung mit Personenschutz.

Überhaupt haftet Ahmed Aboutaleb der Ruf an, ein Mann deutlicher Worte und unorthodoxer Lösungen zu sein. Sowohl als Sozialdezernent in Amsterdam als auch als Staatssekretär im Arbeits- und Sozialministerium machte er sich einen Namen als Befürworter unangekündigter Kontrollbesuche bei Sozialhilfeempfängern. Wer sich diesen verweigerte, sollte auch das Recht auf staatliche Unterstützung verlieren. Musliminnen, die keine Stelle finden, rät Aboutaleb: "Raus aus der Burka und bewerben!" Letzteres mag ein allzu plakatives Beispiel sein, doch gibt es das Niveau der niederländischen Integrationsdebatte wider, die sich just um diese Symbolik dreht. Nicht zuletzt bietet es einen Gegensatz zu der im Herbst zurückgetretenen Integrationsministerin Ella Vogelaar, die sich einst mit der Bemerkung, Burkas in der Öffentlichkeit seien "kein Problem", harsche Kritik eingehandelt hatte. Vogelaar wurde ihrer weichen Linie wegen von ihrer eigenen - sozialdemokratischen - Partei demontiert. Bereits zuvor hatte Parteichef Wouter Bos kundgetan, der offizielle Kurs der PvdA zum Thema Integration sei die "Linie Aboutaleb". Es scheint also, als sei der Vorzeige-Immigrant auch ein Glücksfall für die gebeutelten Sozialdemokraten, die bis heute über den eigenen ausländerpolitischen Kurs zutiefst verunsichert sind. Einerseits verkörpert Aboutaleb nach außen deren Status als die weitaus populärste Partei unter Zuwanderern. Andererseits bietet er inhaltlich endlich einen glaubwürdigen Anschluss an den seit Jahren dominierenden Duktus der Assimilation, den die Parteileitung fordert.

"Zero Tolerance" als Leitsatz

Dass "ausgerechnet Rotterdam" dafür nun den Rahmen liefert, passt nicht nur symbolisch ins Konzept: In der von sozialen Problemen geplagten Hafenstadt gilt seit dem Fortuyn'schen Erdrutschsieg von 2002 "Zero Tolerance" als Leitsatz einer landesweit berüchtigten Sicherheitspolitik. Peter van Heemst, der Vorsitzende der örtlichen PvdA, bekennt sich dazu, mit dem Thema Sicherheit die letzten Kommunalwahlen gewonnen zu haben. Aboutaleb mit seinem Macher-Image passt in dieses Konzept. Remco Oosterhoff, Vorsitzender der Bürgermeister-Wahlkommission des Stadtparlaments, sieht in ihm jedenfalls einen Garanten für die Weiterführung des "Rotterdamer Ansatzes". Dass Migranten solchen Konzepten zusätzlich Legitimation verleihen können, bleibt zu bedenken, wenn Ahmed Aboutaleb als "ausländisches Gesicht" der PvdA vermarktet wird. Eine ähnliche Strategie verfolgte übrigens einst auch Pim Fortuyn, der seine Inhalte zu kompensieren versuchte, indem er den kapverdischen Immigranten Jo~ao Varela zu seinem Stellvertreter ernannte. "Der neue Bürgermeister von Rotterdam heißt Ahmed" - diese Schlagzeile der Tageszeitung NRC next ist insofern kein Widerruf, eher eine Folge der "Fortuyn'schen Revolte". Dies bestätigt auch van Heemst: "Wenn Aboutaleb irgendwo am richtigen Platz ist, dann hier."

* Der Autor ist freier Journalist in Belgien und den Niederlanden.

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