Rassismus: Niederlande im Geschichtswirbel
Im Zeichen der Black-Lives-Matter-Proteste diskutieren Bürgerinnen und Bürger der Niederlande über den Umgang mit Kolonialismus und Sklaverei. So einiges ist dabei in Bewegung geraten – allerdings nicht immer in die richtige Richtung.
Im Zeichen der Black-Lives-Matter-Proteste diskutieren Bürgerinnen und Bürger der Niederlande über den Umgang mit Kolonialismus und Sklaverei. So einiges ist dabei in Bewegung geraten – allerdings nicht immer in die richtige Richtung.
„Gemeinsam gedenken“ stand auf den Plakaten, mit denen das öffentlich-rechtliche niederländische Fernsehen die Live-Übertragung aus dem Amsterdamer Oosterpark ankündigte. Es ging, wie immer am 1. Juli, um die Sklaverei, die in den damaligen Kolonien Surinam sowie den Antillen 1863 formal abgeschafft wurde. Als „keti koti“ – „zerbrochene Ketten“ ist der Gedenktag inzwischen weithin bekannt. Neben der zentralen Feier am 2002 eingeweihten Monument in der Hauptstadt gibt es zahlreiche andere Veranstaltungen. Es scheint, als habe das Land begonnen, der eigenen finsteren Vergangenheit endlich ins Auge zu blicken.
Zwei Gründe machten keti koti in diesem Jahr besonders: Coronabedingt fand das Gedenken diesmal ohne Publikum statt. Hinzu kam der besondere Kontext der Black-Lives-Matter-Proteste, die auch in den Niederlanden mit Kundgebungen und einer hektisch geführten Denkmal-Debatte ihren Widerhall fanden. Linda Nooitmeer, Vorsitzende des Nationalen Instituts für niederländische Sklaverei-Vergangenheit und -Erbe (NiNsee), erinnerte bei ihrer Ansprache an strukturellen Rassismus. Bürgermeisterin Femke Halsema sagte, die Geschichte habe gelehrt, dass Veränderung möglich sei. Die Gegenwart aber zeige, dass dies zu langsam vonstatten gehe und in diesem Prozess nun ein Kipp-Punkt erreicht sei.
„Pegida Abteilung Nord“
Für Letzteres gibt es aus niederländischer Sicht einige Anzeichen. Etwa die wachsende Aufmerksamkeit für den Anteil am transatlantischen Sklavenhandel unter massiver Beteiligung der West-Indische Compagnie (WIC), die 550.000 Menschen Freiheit und vielfach Leben kostete. Anders ist das bei der „Sklaverei im Osten“ in der ehemaligen Kolonie „Niederländisch-Indien“, dem heutigen Indonesien. Dort wurden geschätzt 600.000 bis gut eine Million Menschen verschleppt, ausgebeutet und verkauft, was im öffentlichen Diskurs weitgehend verdrängt wird. Die daran beteiligte Vereinigte Ostindien- Kompanie (VOC) gilt weiter als Vorbild ambitionierten Unternehmertums.
Dem gegenüber steht, dass der Geschichts-Diskurs immer mehr Züge von Symbolpolitik und Kulturkampf entwickelt, Jahr um Jahr genährt vom Konflikt um die Brauchtums-Figur Zwarte Piet. Die Frage, ob der Blackface-Helfer von Sinterklaas, dem niederländischen Nikolaus, nun rassistisch ist, hält das Land inzwischen das ganze Jahr auf Trab. Bei einer Black-Lives-Matter-Demonstration in Amsterdam kündigte der Rapper und Aktivist Akwasi an, er werde Zwarte Piet – also entsprechend verkleidete Personen – im Winter „höchstpersönlich ins Gesicht treten“. Folge: eine Anzeige und Social-Media- Bedrohungen.
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