Geert Wilders: Der Triumph des Enfant terrible
Geert Wilders punktete mit seiner Antizuwanderungspolitik. Dabei waren die Niederlande einst Musterbeispiel einer offenen Gesellschaft. Werden sie nun zum rechten Vorreiter?
Geert Wilders punktete mit seiner Antizuwanderungspolitik. Dabei waren die Niederlande einst Musterbeispiel einer offenen Gesellschaft. Werden sie nun zum rechten Vorreiter?
Dass nach einem rechten Wahlerfolg die Augen des gesamten Kontinents auf einem Land ruhen – dieses Szenario ist just in Österreich zur Genüge bekannt. Die Brüsseler Sanktionen als Reaktion auf das schwarz-blaue Regierungsbündnis waren der erste große EU-Aufreger im neuen Millennium und wurden 2020, zu ihrem 20. Jubiläum, mit viel publizistischer Aufmerksamkeit bedacht. Eine Koalition mit Rechtspopulisten, die man damals noch nicht so nannte, hatte vom Polarkreis bis ans Mittelmeer ein enormes Skandalpotenzial.
Die Vorgänge in den Niederlanden in diesem Spätherbst stellen einen ungeheuren Kontrast zur damaligen Konstellation dar. Zum einen belegen sie den durch und durch musealen Charakter der EU-Maßnahmen gegen Wien. Dieser cordon sanitaire der Empörung war so nachvollziehbar wie völlig wirkungslos, was sich allein daran zeigt, dass heutzutage die postfaschistische Giorgia Meloni nicht nur die Regierungsgeschicke im Nachbarland Italien lenkt, sondern auch im Namen der EU mit der tunesischen Diktatur über ein Abkommen zur Migrationsbegrenzung verhandelt.
Schlüsselfigur der identitären Parteien
Zum anderen ist das niederländische Wahlergebnis innerhalb dieses Prozesses der rechtspopulistischen Normalisierung ein Meilenstein: ÖVP und FPÖ lagen damals in Wählergunst und Parlamentssitzen gleichauf, und mit der ÖVP stellte die etablierte der beiden Partner den Kanzler. Dagegen ist die Partij voor de Vrijheid (PVV) von Geert Wilders im neuen niederländischen Parlament, das in dieser Woche erstmals zusammenkam, mit Abstand am stärksten vertreten. Derweil werden in Den Haag mögliche Koalitionen sondiert, in der die PVV nicht länger nur die Juniorpartnerin wäre.
Sollte es so weit kommen und Geert Wilders also Premier werden, ist an EU-Sanktionen freilich nicht zu denken. Stattdessen blickt man also aus allen Ecken des Kontinents sorgenvoll auf das Land, das einst als Musterbeispiel einer offenen, liberalen Gesellschaft galt. Unabhängig davon, ob Wilders, der nach 17 Jahren als Enfant terrible der niederländischen Politik seinen größten Triumph feierte, nun Premier wird oder nicht: Die Geschehnisse in Den Haag beflügeln überall Parteien, die mit der PVV verbündet sind oder inhaltlich in wesentlichen Punkten auf einer Wellenlänge liegen: FPÖ, AfD, Fidesz, Vlaams Belang, die Liste kann beliebig fortgesetzt werden. Der Fokus richtet sich daher auf die EU-Wahlen im Juni, bei denen nach jetzigem Stand ein kollektiver Rechtsruck zu befürchten ist.
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