Mark Rutte - © Foto: APA/AFP/John Thys

Rücktritt der niederländischen Regierung: Die Rutte-Dämmerung

19451960198020002020

Der Fall seiner Regierung besiegelt auch das Ende der politischen Laufbahn des niederländischen Premiers Mark Rutte. Über einen unterschätzten Pragmatiker, der zum politischen Urgestein wurde – und einen viel zu langen Abschied.

19451960198020002020

Der Fall seiner Regierung besiegelt auch das Ende der politischen Laufbahn des niederländischen Premiers Mark Rutte. Über einen unterschätzten Pragmatiker, der zum politischen Urgestein wurde – und einen viel zu langen Abschied.

Werbung
Werbung
Werbung

Was Mark Rutte letzten Endes zum Umdenken brachte: Man weiß es nicht. Unmittelbar nachdem er vergangenen Freitagabend das Ende des vierten Kabinetts unter seiner Leitung bekanntgegeben hatte, das an einem Streit über die Asylpolitik zerbrach, verkündete er, seiner rechtsliberalen „Volkspartij voor Vrijheid en Democratie“ (VVD) bei den Neuwahlen im Herbst vermutlich erneut als Spitzenkandidat zur Verfügung zu stehen. Drei Tage später offenbarte der 56-Jährige einen Sinneswandel: „Beim Antritt eines neuen Kabinetts nach den Wahlen werde ich die Politik verlassen.“

Eingerechnet die meist langwierigen Koalitionsgespräche in den Niederlanden wird Rutte, der kommissarisch die Regierungsgeschäfte weiter lenken wird, zu diesem Zeitpunkt mehr als 13 Jahre im Amt gewesen sein – ein niederländischer Rekord. Auf europäischer Ebene blickt einzig der Ungar Viktor Orbán auf eine etwas längere Regierungsperiode zurück. Und doch, oder gerade deshalb, war in der niederländischen Politik und Gesellschaft nach Ruttes Erklärung ein Aufatmen zu spüren. Attje Kuiken, die Fraktionsvorsitzende der oppositionellen Sozialdemokraten, sprach von „frischer Luft“.

Die Leuten scheinen ihn sattzuhaben

Vielleicht steckt hinter der Entscheidung schlicht eine Einsicht, der sich Rutte, der seit 2010 vier verschiedene Kabinette leitete, von denen drei vorzeitig scheiterten, lange versperrt hat. Die meisten Menschen im Land haben ihn, so drastisch ist es, satt. Eine Umfrage des TV-Magazins „EenVandaag“ am Wochenende liefert ein ambivalentes Bild bezüglich des Sturzes der Koalition – 62 Prozent begrüßen ihn, zugleich macht sich die Hälfte Sorgen darüber, in diesem Moment multipler Krisen keine vollwertige Regierung zu haben – und ein eindeutiges bezüglich des Regierungschefs: Drei Viertel sprachen sich gegen ein fünftes Kabinett Rutte aus.

Natürlich kannte Rutte diese Zahlen, als er ans Rednerpult des Parlaments trat. Genauso wie er um die zahlreichen „Oprutte!“-Rufe wusste, die spätestens seit der Corona-Pandemie zum Standardrepertoire vieler Demonstrationen gehörten – ein Wortspiel mit dem Verb „oprotten“, das auf eine etwas rüdere niederländische Variante von „schleich di“ hinausläuft. Der Unterschied: Was ihn lange nicht zu kratzen schien, hatte nun wohl doch einen Effekt auf den Premier. Der Begründung, seine einzige Motivation sei das Schicksal des Landes, wollte er anhängen, seine eigene Position sei dem „völlig untergeordnet“. Ein Versprecher machte daraus: „völlig ungeeignet“. Um bei einem Bild zu bleiben, das Rutte vor allem in den erfolgreicheren Perioden seiner Laufbahn begleitete: Er hat seine schützende Schicht verloren, die scheinbar alles von ihm abprallen ließ. „Tefon-Mark“ nannte man ihn hierzulande lange. Ein Image, zu dem freilich entscheidend beitrug, dass Rutte in puncto Erscheinung und Auftreten einfach nicht zum Bösewicht taugt. Etwas Konfirmandenhaftes prägt sein Äußeres bis heute, er ist zugänglich und allürenfrei wie wenige andere seines Status, und müsste man diesen Mann einem ihm entsprechenden Tier zuordnen, gäbe er ein vortreffliches Honigkuchenpferd ab. Lange hielt sich daher die Auffassung, er lache Probleme einfach weg.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung