Politstrategie ohne Moral

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Wer, außer Menschen, die entweder betroffen und/oder an politischen Zusammenhängen interessiert sind, konnte bislang mit dem Begriff "BenesÇ-Dekrete" wirklich etwas anfangen? Nun beginnt sich das Wissen darüber ein wenig zu verbreiten und fast wäre man versucht, diesen Informationszuwachs positiv zu bewerten. Aber genau hier stocke ich: Ist in der augenblicklichen Debatte tatsächlich ein Wert zu erkennen?

Wird darüber reflektiert, wie mit Unrecht umzugehen ist? Welches "Recht" sich Systeme herausnehmen dürfen, um auf erlittenes Unrecht zu reagieren? Welche Irrwege sich auftun, wenn nationale Zugehörigkeiten als politischer Maßstab angelegt werden, wenn die vereinfachten Denkkategorien von "gut" und "böse" zur politischen Leitlinie werden? Welche Menschenverachtung der Pauschalierung innewohnt? Ein Diskurs darüber wäre notwendig und könnte uns weiter bringen, im Übrigen auch was unsere Beurteilungsfähigkeit der Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien, in Afghanistan, im Irak oder der Gefangenen auf Kuba betrifft.

Statt gemeinsamen, öffentlichen Nachdenkens erlebe ich das öffentliche Anheizen von Ressentiments, Kampfparolen und pseudomoralische Überheblichkeit, die das Gegenüber in die Bittstellerrolle zwingen will. Es geht offensichtlich nicht darum, Geschichte aufzuarbeiten, um daraus auch Einsichten für die Zukunft zu gewinnen, schon gar nicht geht es um den Aufbau von Verständigung. Es geht um ein neues emotionsgeladenes Thema, das WählerInnenzustimmung mobilisieren soll. Wichtig ist nicht, wofür: Die Mobilisierung ist Selbstzweck, sozusagen als abrufbare Erinnerungspost für die nächsten Wahlen. Wesentlich aber ist, dass damit dieselbe negative Energie freigesetzt werden soll, wie schon bei Angriffen auf rechtsstaatliche Institutionen und ihre Vertreter.

Als Tochter einer Familie, die aus der Tschechoslowakei vertrieben wurde, bin ich entrüstet über die Schäbigkeit dieser Politstrategie. Noch hoffe ich, dass sie nicht aufgeht. Es liegt an uns, ob die Diskussion trennt oder verbindet, ob sie die Untiefe des Vorurteils oder die Tiefenschärfe des Arguments hervor holt.

Heide Schmidt ist Vorsitzende des Instituts für eine offene Gesellschaft.

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