Auf der Seite der Arbeiter

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An der Nahtstelle zwischen Kirche und Gesellschaft wirkt das Kolpingwerk.Kolping-Österreich wurde vor kurzem 150 Jahre alt.

Eine Idee geht um die Welt: Vor 150 Jahren gründete der deutsche Priester Adolph Kolping das Kolpingwerk auch in Österreich, 450.000 Mitglieder in über 50 Ländern hat es weltweit. An der Nahtstelle zwischen Kirche und Gesellschaft, auf der Seite der sozial Schwachen, ist Kolpings Ansatz der Hilfe zur Selbsthilfe in einer Gemeinschaft noch immer aktuell. "Die Idee von Kolping war, den Menschen auf den Weg ins Berufsleben zu begleiten. Die Arbeit ist eine wichtige Säule des persönlichen Glücks des Menschen. Wer Arbeit hat, weiß, dass er etwas wert ist", sagt Ludwig Zack, seit 1969 Bundespräses von Kolping Österreich: "Wir sind nachhaltig auf der Seite der Arbeiter." Daran hat sich seit der Gründung nichts geändert. "Zur Zeit Kolpings war die Maschine wichtiger als der Mensch, heute ist das Kapital wichtiger. Das Resultat ist dasselbe: Der Mensch ist der zweite.

Großer privater Heimträger

Seit 150 Jahren ist Kolping-Österreich bei den sozial Schwachen. "Das Leistungsdenken setzt Menschen ständig unter Druck. Bei uns lernen sie, ihr Leben wieder selbst zu gestalten", bringt Zack die Idee auf den Punkt: "Wir richten den Blick an den sozialen Rand. Die Politik sieht den liberalen Markt als einzigen gemeinsamen Nenner, sie lagert das Soziale immer mehr aus." Viele neue Schwerpunkte haben sich gebildet: 17 Sozialeinrichtungen bieten Hilfe: Wohngemeinschaften für allein erziehende Mütter mit Kindern, Wiedereingliederungsprojekte für langzeitarbeitslose Jugendliche, Betreuung von Flüchtlingen, Wohnhäuser und Werkstätten für Behinderte, diverse Beratungsstellen, Häuser für verängstigte, traumatisierte Frauen, die Opfer von Gewalt wurden.

Das Kolping-Werk zählt mit 62 Häusern zu den größten privaten Heimträgern des Landes, 7.000 professionell verwaltete Wohnplätze stellt es zur Verfügung. Gemeinschaftsräumen wird viel Platz eingeräumt: große Wohnzimmer, Küchen, Musikzimmer, Räume zum Spielen und ähnliches lassen Kolping-Heime nicht zu Wohnbatterien werden. 25.000 Mitglieder hat Kolping-Österreich, sie sind Mitbesitzer der Häuser ohne Anspruch auf Vermögen, Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. 700 arbeiten hauptamtlich mit. Jedes Haus hat einen - im Idealfall priesterlichen - Präses, juridisch ist er der Vereinsobmann der "Kolpingfamilien". Er kümmert sich um geistige Orientierung, Menschenführung, ist für Finanzen verantwortlich und kann Schwerpunkte setzen. "Wir sind keine Sozialromantiker, wir sind Sozialpraktikanten", meint Zack. Begonnen hat seine Karriere bei Kolping eher zufällig. Als Kaplan in Wien-Lichtental wurde ihm die Seelsorge im nahen Kolpinghaus anvertraut. Später fragten ihn die Kolping-Leute, ob er Präses werden wolle. "Hier hast du Möglichkeiten, die du sonst in der Kirche nicht findest", meinten sie - Zack ließ sich überzeugen.

Begegnung mit Behinderten

Vor 23 Jahren wurde im Kolpinghaus Poysdorf die erste Werkstätte für behinderte Jugendliche im Bezirk Mistelbach/Gänserndorf gegründet. Ziel ist die Vollintegration behinderter Menschen in die Gesellschaft. Die oft sanft erzwungene Teilnahme an Veranstaltungen, Kirchgängen, Musikdarbietungen und ähnlichem soll Berührungsängste abbauen. "Die Begegnung von Behinderten und Nichtbehinderten muss man wohl organisieren, da bei so genannten Nichtbehinderten viel zu wenig Bemühungen bestehen, selbst Kontakte mit Behinderten aufzunehmen", macht sich Hermann Schiller, Leiter der drei Wohnheime in Mistelbach, Waidhofen/Thaya und Poysdorf, keine Illusionen. Wie alle Kolping-Einrichtungen tragen sich die Häuser finanziell selbst. "Ein Teil der Kosten wird von den Behinderten oder deren Angehörigen gezahlt, ein weiterer kommt über die Tagsätze des Landes, der Rest wird über Sponsoring und Feste eingenommen", erklärt Zack. Allein in Wien gibt es 1.500 Altkleider-Container, die den Bekanntheitsgrad von Kolping erhöhen und die Sozialarbeit mitfinanzieren.

Seit vier Jahren führt das Kolpingwerk die einzige ambulante Drogenberatungsstelle in Wien, die nur jugendliche Süchtige betreut. Etwa 140 Betroffene zwischen 13 und 22 Jahren und über hundert Angehörige suchten letztes Jahr hier Rat. "Kürzlich beschwerte sich eine Frau, dass die Stadtregierung nichts gegen die asozialen Drogensüchtigen am Karlsplatz unternähme, dass man niemandem zumuten könne, sich das anzuschauen", schildert Mitarbeiterin Andrea Kronsteiner: "Aber darum geht es: hinschauen und das Leid dieser Menschen sehen, den Menschen selbst sehen - auch wenn sie im Moment keine andere Strategie zur Bewältigung ihrer Probleme haben, als sich zuzumachen. In dem Moment, wo Jugendliche zu uns kommen, signalisieren sie Bereitschaft zur Veränderung - was kann man sich mehr wünschen?"

Kolpingkonzept für den Süden

1968 beschloss das Kolping-Werk, sich auch in der Entwicklungshilfe zu engagieren. "Unsere Güter sind für alle da, wir müssen mit dem Gedanken an eine gemeinsame Welt leben lernen", so Zack. In der Dritten Welt erweist sich die klassische, am Handwerk ausgerichtete Kolping-Idee als tragfähiges Konzept: In Brasilien wurden Bildungszentren errichtet, jedes Jahr fliegen junge Menschen aus Österreich hin, um Häuser zu bauen und neue Kolpingfamilien zu gründen. 1992 wurde in Kenia ein Berufsbildungszentrum für Möbeltischler und Maurer gegründet, das sich heute selbst trägt. In Uganda führt Kolping drei Projekte.

"Eine Welt, in der nur ein Einziger weniger leidet, ist eine bessere Welt", meinte Kolping: "Nur bessere Menschen machen bessere Zeiten." Er war so ein Mensch. Zu seiner Lebenszeit war die Industrialisierung auf dem Vormarsch, sie forderte Opfer. Es waren die Handwerker, die unter die Räder der neuen Maschinen kamen, mit der Arbeit auch das Selbstwertgefühl verloren. "Fragt nicht, was die jungen Menschen wollen, sondern was sie brauchen!" Kolping setzte auf Ausbildung und Gemeinschaft, er hatte selbst ein Handwerk gelernt, stammte aus einer armen Familie mit elf Kindern. Kolping wusste, welche Kraft das Leben in sozialer Geborgenheit gibt. So kam er auf die Idee, Katholische Gesellenvereine zu gründen. "Wir können viel, wenn wir nur nachhaltig wollen", motivierte Kolping zur Selbsthilfe. "Schön reden tut's nicht, die Tat ist es, die den Menschen ziert." Nach dem erfolgreichen Start in Deutschland reiste er 1852 nach Innsbruck, Salzburg, Linz, Steyr und Wien, um weitere Gesellenvereine zu gründen.

Kolping in Wiens "City X"

Arbeit bedeute - theologisch gesprochen - das "Mitwirken des Menschen an der Schöpfung", meine Kardinal Schönborn beim Jubiläumsgottesdienst. Er betonte, dass der Mensch nicht für die Arbeit, sondern die Arbeit für den Menschen da sei: Maßstab sei seine Würde als Person.

Auf die Würde des alten Menschen richtet sich das neueste Projekt in Wien-Favoriten. "Gemeinsam leben" steht wieder im Mittelpunkt, diesmal zwischen den Generationen. Am 12. Juni feierte man die Dachgleiche des Hauses, das im Sommer 2003 fertig sein soll. 166 Pflegebetten, 60 betreute Wohneinheiten, 59 Einzel- oder Doppelappartements für selbständiges Wohnen, 40 Betten eines Mutter-Kind-Heim sollen hier unter einem Dach Platz finden.

Eine hauseigene Kapelle, Cafeteria, Konferenzräume, diverse Therapieangebote, Sauna/Solarium, zwei Ordinationen und eine große Halle, auf der sich alle wie am Dorfplatz begegnen können, zählen zur Infrastruktur des Hauses. Geplant hat es Architekt Otto Häuselmayer. Eingebettet in die neue "City X" in Favoriten mit 650 Wohnungen. Die Familien, die hier einziehen, können so in der Nähe eines alten Angehörigen leben und ihn "ums Eck" in guten Händen wissen. Zack: "Wir müssen den Menschen nicht nur am Anfang ins Berufsleben helfen, wir müssen sie lebenslang begleiten. Unsere Aufmerksamkeit muss sich auch auf die Zeit nach der Erwerbsarbeit richten, sie ist so spannend wie möglich zu gestalten."

Informationen: www.kolping.at

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