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Die Kolpingfamilie heute

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Jahrhundertfeiern sind mit einem „entweder — oder“ beladen. Entweder sie rufen Bewunderung, Begeisterung und Ansporn hervor, oder sie erwecken ein Gefühl der Antiquiertheit, des Altmodischen.

Das hundertste Todesjahr Adolf Kolpings könnte leicht dieses Gefühl des Überholten bei jenen hervorrufen, die an den katholischen „Gesellenverein“ von einst denken.

Heute gibt es ja nur mehr Facharbeiter, wer läßt sich da noch gerne Geselle nennen? Die ganze mittelalterliche Zunftromantik klingt hier wieder auf. Wir leben heute im Zeitalter des Fließbandes, der Paßstücke, der Automation und des Tempos. Das soll kein Urteil über die Vergangenheit sein, aber es hat sich eben vieles geändert. Damals waren die Gesellen junge Leute, die bildungswillig und -fähig waren. Bei ihnen erkannte der Volkspriester Adolf Kolping 1849 eine Ansatzmöglichkeit, um dem Proletariertum entgegenzuwirken, das der Revolution zutrieb. Der Geselle war für Kolping der junge Mensch, der weiterstrebte. Er hatte nicht das Geld oder den familiären Rückhalt, um Meister und selbständig zu werden. Aber er hatte die Fähigkeit und das Verlangen, sich weiterzubilden. Dazu mußte man ihm Gelegenheit geben. Mit diesem Wollen aber war er auch gekennzeichnet, um über die fachliche Ausbildung hinaus zu einer rechten Bildung des ganzen Menschen, zur Herzensbildung, zu gelangen. Es ist wohl kein Zufall, daß Adolf Kolping um dieselbe Zeit mit seinem Bemühen ansetzte, als Karl Marx zur Revolution aufrief. Kolping erkannte: Revolution ohne Bildungsfortschritt bedeutet Unglück.

ein neuer Name

Vieles hat sich seither geändert. Aber die Ideen Kolpings und sein Bildungsprogramm haben sich durchgesetzt und als wirklichkeits-entsp;-cchrnd erwiesen. Die Ge-sellenvereine wuchsen allerorts aus dem Boden. Allerdings erkannte man bald: Wenn die Idee Kolpings weiterleben soll, dann darf sie nicht auf die Zunftkategorien beschränkt bleiben. Das zeigte sich, als 1933 ein neuer Name gewählt wurde: Rolpingfamilie.

Der zweite Weltkrieg hatte scheinbar das Leben der Kolpingfamilien ausgelöscht. Doch gleich nach Kriegsschluß zeigte es sich, daß das Werk Kolpings weiterlebte. Wie Europa und Teile der Welt nach dem Krieg zerschlagen waren, dann aber um Jahrzehnte gereifter erstanden, so auch das Kolpingwerk. Die Menschen sind über die industrielle Revolution hinausgewachsen und der Maschine „Herr“ geworden. Auch der Liberalismus (gemeint ist der wirtschaftliche) hat erkannt, daß die Willkür des einzelnen diesem selbst schadet, wenn er auf die Gesamtheit vergißt. Dieser Prozeß ging auch an der Kolpingfamilie nicht spurlos vorüber. So ist die Krise der Familie in ihr längst erkannt und fast für sie selbst zur Krise geworden. Während die Alten an den überkommenen

Vorstellungen festzuhalten versuchen, sind die Jungen in der Kolpingfamilie schon längst damit unzufrieden und den alten Konventionen untreu geworden.

Die Familie kann nicht mehr alles geben

Die Familie ist heute nicht mehr das, was sie war. Sie kann auch nicht mehr alles geben, was sie früher gab. Sie ist nicht mehr Personal- und Wirtschaftsgemeinschaft. Die Familie muß sich heute genauso als ein Teil — wenn auch als der wichtigste — in den Erziehungsund Heranbildungsprozeß des jungen

Menschen einfügen lassen wie ein Betrieb in der Fertigung eines Werkstückes.

Die Kolpingfamilie sieht daher ihre Aufgabe darin, dem jungen Menschen, wo immer sie ihm außerhalb seiner natürlichen Familie begegnet, ein Milieu zu bieten. Gemeinschaft Gleichgesinnter und darum Geselligkeit, das ist ein Schwerpunkt der Arbeit in der Kolpingfamilie. Der Mensch wird durch die Begegnung mit dem anderen erst gebildet. Darum holt die Kolpingfamilie die jungen Leute zusammen, gibt ihnen in Heimen die Möglichkeit, menschenwürdig zu wohnen, sich auf ihre Weise zu unterhalten und geistigen Austausch zu pflegen. Sie schafft Anregungen und Möglichkeiten zur Weiterbildung und setzt damit fort, was Kolping schuf: die erste Volkshochschule.

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