Schreiben Tag für Tag

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Journalistenbücher: "Unerhörte Lektionen" - Mediengeschichte im O-Ton aus dem ersten Jahrzehnt der Zweiten Republik. "Auf der Höhe der Zeit" - Klaus Harpprecht über den Journalismus, den "schönsten und schrecklichsten aller Berufe".

Wer weiß heute noch, wer Richard Nilius war? Hinter diesem Pseudonym verbarg sich Richard Nimmerrichter: Am 1. Dezember 1946 schrieb jener Journalist in der Arbeiter-Zeitung eine berührende Reportage über den Oberleutnant Schimek, der nach dem Krieg wieder zum Herrn Schimek geworden war, und der aber nicht mit den neuen Verhältnissen fertig werden mochte, sprich: dass man als Angehöriger der Hitlerarmee keinen Staat mehr machen konnte. Aber was wäre gewesen, wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte? "Dann wärst du", so Nilius, "heute nicht der armselige, sich nicht zurechtfindende Herr Schimek, sondern der Major Schimek, deine Arroganz würde keine Grenzen kennen, du wärst aufgeblasen bis ins Unendliche ... Ja, du bist auch dem Hitler zum Opfer gefallen, aber nur deswegen, weil die anderen, Gott sei Dank, den Krieg gewonnen haben!" Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Nimmerrichter, der später in der Kronen Zeitung als "Staberl" sein berüchtigtes Wesen treiben sollte, auf prägnante wie empathische Weise jenes Mitläufertum, dem hierzulande so viele erlegen waren, beschreiben konnte?

Ein exemplarischer Artikel unter zahlreichen anderen, herausgegeben von den Wiener Publizistikprofessoren Fritz Hausjell und Wolfgang Langenbucher im Band "Unerhörte Lektionen". Das Buch stellt eine wichtige und oft überraschende Schau journalistischer Gehversuche im ersten Jahrzehnt der Zweiten Republik dar.

Vier Jahre Ständestaat und sieben Jahre Tausendjähriges Reich haben auch das Journalistenhandwerk arg desavouiert. Umso befreiender ist es, die Beiträge voller oft großer Hellsichtigkeit zu lesen, die sich mit der österreichischen (Mit-) Schuld an den ns-Verbrechen auseinandersetzten oder mit dem Fortbestand rechter Ideologien und des Antisemitismus. Ernst Fischer, Franz Kreuzer, Viktor Matejka, Arbeiter-Zeitungs-Legende Oscar Pollak, Alfred Polgar, Hans Weigel sind nur einige der Namen, die man in den "Unerhörten Lektionen" als Artikelschreiber wieder findet.

Zur "Kanonisierung" des österreichischen Journalismus wollen die Herausgeber beitragen - was die präsentierten Fundstücke betrifft, zweifellos ein wichtiges Unterfangen. Auffällig, dass die konservative Publizistik ausgeblendet bleibt, sei es, weil diese zu wenig "hellsichtig" schien, sei es, weil sie durch Ständestaat und ns-Zeit vorbelastet war. Letzterer Grund erstaunt, war doch bei manchen der abgedruckten Autoren deren stalinistische Verirrung kein Anlass, sie nicht in die Anthologie aufzunehmen. Dennoch: eine aufschlussreiche und lesenswerte Zusammenstellung.

In allen Medienlagen

Wolfgang Langenbucher ist auch der Spiritus Rector der Wiener Theodor-Herzl-Vorlesungen und Herausgeber der dazu gehörigen Buchreihe. Der jüngste Band darin stammt vom deutschen Journalisten-Urgestein Klaus Harpprecht.

"Auf der Höhe der Zeit? Journalismus, der schönste, schrecklichste aller Berufe" drückt schon im Titel den umfassenden und zwischen Faszination und Depression changierenden Zugang aus. Autobiografisch erschließt Harpprecht, der zdf-Korrespondent in den usa, Verlagsleiter bei S. Fischer, Berater für Willi Brandt und vieles andere mehr war, die Grundtypen der Medien: Print - er nennt das den "Urjournalismus", den er diesseits und jenseits des Atlantiks vergleicht; Radios das Harpprecht auch im Bonner Büro des Senders Freies Berlin mitgestaltete; und natürlich Fernsehen, bei dem er beim für tv-Macher überraschenden Satz landet: "Schreiben Sie. Schreiben Sie jeden Tag. Das geschriebene Wort ist das verlässlichste Fundament unseres Gewerbes. Denken erfüllt sich im Wort, nicht im Bild. Denkverzicht, auch wenn er die Mehrzahl der Programme dominiert, löst die Wirklichkeit auf." - Es tut gut, solche Erfahrungen eines Altvorderen zu lesen und zu bedenken.

UNERHÖRTE LEKTIONEN. Journalistische Spurensuche in Österreich 1945-1955

Hg. Fritz Hausjell, Wolfgang Langenbucher Picus , Wien 2005, 244 S., geb., e 19,90

AUF DER HÖHE DER ZEIT? Journalismus, der schönste, der schrecklichste aller Berufe

Von Klaus Harpprecht. Picus Verlag, Wien 2005, 192 Seiten, geb., e 14,90

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