Spion des kleinen Mannes

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Mordechai Vanunu hatte das bestgehütete Geheimnis der Welt, die Produktion von Massenvernichtungswaffen in Israel, verraten.Dafür wurde er als Atomspion verurteilt und sitzt seit 1986 im Gefängnis. Seine Briefe sind bewegende Dokumente.

Heute Staatsfeind, damals ein Held: Israel feierte dieser Tage Purim. Erinnerung an die Errettung der Juden in Perserzeit. Erinnerung aber auch an Mordechai, der einst ein geplantes Attentat aufdeckte und damit großen Schaden abwenden konnte. Dieser biblische Mordechai hat sein Wissen über eine große Gefahr nicht für sich behalten. Dafür wurde er als Held gefeiert und in höchste Ämter befördert - vor rund 2.300 Jahren. Der heutige Mordechai wird stattdessen als Staatsverräter beschimpft und sitzt in einem israelischen Gefängnis. Bloß weil auch er sein Wissen über eine große Gefahr nicht für sich behalten wollte.

"Es tut mir trotz allem nicht Leid, was ich getan habe", schreibt Mordechai Vanunu in einem Brief aus dem Shikma-Gefängnis in Ashkelon. "Ich bin sehr froh und stolz, dass ich meinen Vorsatz verwirklichen konnte. Dieser Erfolg hilft mir sehr dabei, mein Leiden hier zu ertragen und gibt mir Kraft." Der Brief datiert mit dem 5. Dezember vorigen Jahres. Angekommen ist das Schreiben aber erst vor wenigen Tagen, klagt der Ehrenpräsident des Österreichischen Versöhnungsbundes Ernst Schwarcz. "Gewohnte üble Schikane", erklärt Schwarcz, der mit Vanunu seit Jahren in regelmäßigem Briefkontakt steht. "Bis zu sechs Monate sind die Briefe oft unterwegs", schimpft der Friedensaktivist, der dem Häftling nicht nur Briefe, Zeitungen, Bücher zukommen lässt, sondern mit Opernvideos mithilft, den Gefängnisalltag von Musikfreund Vanunu erträglich zu machen.

Gefahr für Israels Sicherheit

Vanunus Briefe werden aber nicht nur monatelang zurückgehalten, sie kommen auch unvollständig beim Adressaten an. Wörter, Zeilen fehlen, im schlimmsten Fall ganze Absätze - rausgeschnitten, zensuriert. "Es genügt ihnen nicht, dass sie mich festhalten. Sie halten auch meine Briefe, meinen einzigen Kontakt mit der Welt außerhalb des Gefängnisses, zurück - noch mehr Psycho-Krieg!", stellt der Häftling in einem anderen Brief resignierend fest. Vanunu sei weiterhin eine "Gefahr für Israels Sicherheit und seine Außenpolitik". So lautet die Rechtfertigung für Schikane und Zensur. Damit wird auch nach wie vor jeder Antrag auf Haftverkürzung abgelehnt. Seit 17 Jahren büßt Vanunu für ein Vergehen, das die "Dänische Friedensstiftung" so beschreibt: "Vanunu bewies persönlichen Mut, als er trotz der Risiken entschied, seinem Gewissen zu folgen und seinen moralischen Widerstand gegen Atomwaffen zu bestätigen, indem er das bestgehütete Geheimnis der Welt, sprich das israelische Nukleararsenal enthüllte."

A-Bombe in Nahost?

Die Frage nach Massenvernichtungswaffen im Nahen Osten beschäftigt nicht erst seit der aktuellen Suchmission von UN-Waffeninspektoren im Irak die Weltöffentlichkeit. Wie eine Bombe hat deswegen die Schlagzeile der Londoner Sunday Times vom 5. Oktober 1986 eingeschlagen: "Israel ist die sechste Atommacht." Mordechai Vanunu hatte der Zeitung Details seiner Arbeit im israelischen Atomreaktor "Dimona" mitgeteilt. 20 Jahre lang soll Israel zu diesem Zeitpunkt bereits über hundert Atomwaffen besessen haben und mit der Produktion einer Neutronenbombe, so Vanunu 1986, wurde gerade begonnen.

Der damalige israelische Verteidigungsminister Jitzhak Rabin dementierte umgehend: "Israel ist keine Atommacht und wird nicht als erster Staat in Nahost Atomwaffen haben." Den Techniker verunglimpfte Rabin als gekauften Atomspion mit Verbindungen zu radikalen Palästinensern. "Ich war kein Agent irgendeiner Organisation", schreibt Vanunu in einem seiner Briefe. "Ich wollte, dass der kleine Mann die Wahrheit erfährt. Ich habe es nicht für Geld getan und ich habe kein Geld erhalten."

Die Welt glaubte Vanunu und nicht den israelischen Politikern. Die Bestätigung für diese Sicht der Dinge folgte auf den Fuß: Zuerst wurde Vanunu kurz nach der Veröffentlichung des Atomgeheimnisses von einer geheimnisvollen Blondine nach Rom gelockt. Von dort brachte der israelische Geheimdienst Mossad den "Spion" unter spektakulären Umständen in einer bis heute nicht völlig aufgeklärten Aktion von Italien nach Israel. Trotz weltweiter Proteste und der Fürsprache von zwölf Nobelpreisträgern wurde Vanunu in einem siebenmonatigen Geheimprozess zu 18 Jahren Haft, die ersten elf in Einzelhaft, verurteilt.

"Hier bei mir, in meinem Leben gibt es keine Abwechslung, dasselbe Leben, dieselben Bedingungen", skizziert Vanunu den eintönigen Gefängnisalltag in einem Schreiben an Ernst Schwarcz. "Jetzt bin ich das 17. Jahr im Gefängnis", zählt Vanunu, "eine sehr lange Zeit, grausamer, barbarischer Behandlung. Aber nach wie vor wollen sie nicht damit aufhören, wollen sie mich nicht freilassen." Vanunu schreibt mit Kugelschreiber auf gelochten, linierten Blättern mit einem roten Seitenrand. Keine Zeile wird verschwendet, kein Absatz gemacht. Vanunu reiht Wort an Wort streng aneinander, so wie sich die Jahre seiner Haft ohne Unterbrechung aneinander reihen.

Zu den zahlreichen Persönlichkeiten und Organisationen, die im Laufe der Jahre eine Begnadigung für den Atom-Häftling gefordert haben, zählt auch Andrew Neil, der frühere Chefredakteur der Sunday Times, deren Veröffentlichung vor 17 Jahren das Schicksal Vanunus besiegelt hat.

Unmenschlich!

"Vanunu muss einen unmenschlichen Preis dafür bezahlen", klagt Neil an, "weil er der Welt berichtet hat, dass Israel über eine nukleare Kapazität verfügt - eine Information, auf die das israelische Volk und die Welt ein Recht hat." Und der Journalist, einer der bekanntesten Großbritanniens, schreibt weiter - leider in der Wirkung umsonst: "Israel ist damit das erste demokratische Land des Westens geworden, dass jemanden als Verräter bestraft, nur weil er einer Zeitung Informationen geliefert hat."

Für seinen "Verrat" erhielt Vanunu unter anderem den dänischen Friedenspreis und den Alternativen Nobelpreis. Auch für den Friedensnobelpreis war Häftling Vanunu 2001, zum 100. Jahrestag der Vergabe der ersten Nobelpreise, vorgeschlagen. Hätte Vanunu den Preis erhalten, würde er in einer Reihe mit Friedensnobelpreisträger Shimon Peres stehen. Eine explosive Mischung, denn laut heutigem Wissensstand gilt der damalige israelische Ministerpräsident als derjenige, der die Entführung und Inhaftierung des früheren Atomtechnikers angeordnet hat.

Alibi für Atomrüstung?

In die Diskussion um die Tat von Vanunu mischten sich auch immer wieder Warnungen, die Nachbarstaaten Israels verfügten mit den Enthüllungen des Technikers über das politische und militärische Alibi, ihre eigenen Nuklearprogramme zu verwirklichen. In einer Zeit, in der wegen des angeblichen Besitzes von Massenvernichtungswaffen ein weiterer Krieg im Nahen Osten vor der Tür steht, kein abwegiges Argument. Vanunu erklärte zu diesem Vorwurf wiederholte Male, dass es ihm um eine Warnung sowohl der Araber als auch der israelischen Bevölkerung vor der atomaren Gefahr gegangen sei.

Dieses Thema beherrscht auch heute Vanunus Briefe: "Israels nukleare Forschung wird nach wie vor geheim gehalten. Der Dimona-Reaktor ist immer noch in Betrieb (zwei Wörter herausgeschnitten), aber weder die Vereinten Nationen noch IAEO (Internationale Atomenergiebehörde) scheren sich um die israelischen Atomwaffen." Vanunu zeigt sich "sehr enttäuscht" über das Verhalten der IAEO, "nach allen meinen Publikationen". Vielleicht ändert sich die Situation aber nach dem "amerikanischen Irak-Krieg", hofft Vanunu. "Dann kann sich die Welt auch um Israels nukleare Aktivitäten kümmern."

Am 21. April 2004 endet Vanunus Haft. Ernst Schwarcz und andere Freunde werden ihm bis dahin noch weitere Zeitungen, Bücher und vor allem Opern-Videos schicken. Die letzte Sendung wird Vanunu vielleicht schon in wiedergewonnener Freiheit lesen, hören, sehen können. In der Gewissheit, dass "alle diese Jahre, in denen ich zum Schweigen gebracht wurde, mich nicht zum Verstummen bringen konnten".

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