Vanunu läutet die Glocken

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Wäre Mordechai Vanunu ein Iraner und würde vor Atomwaffen warnen, er wäre ein Held - so aber verachten ihn die meisten Israeli.

Einem iranischen Techniker mit Namen Jalal-a-Din Taheri, der im Atomreaktor in Busher gearbeitet hatte, ist es gelungen, nach Europa zu fliehen, wo er die Pläne der Ayatollahs, Atombomben zu produzieren, preisgibt. Taheri wurde daraufhin von aller Welt zum Helden erklärt. Friedensorganisationen nominierten ihn für den Nobelpreis. Präsident Bush lobte ihn für seinen Mut. Ariel Sharon lud ihn ein, nach Israel zu kommen und hier zu leben, ja nannte ihn einen Gerechten der Nationen. Die Ayatollahs denunzierten ihn als Verräter, Ungläubigen, Kreuzfahrer und Zionisten. Dies ist natürlich eine völlig fiktive Geschichte. Aber sie entspricht genau der Geschichte von Mordechai Vanunu, der von fast allen Israelis als verachtenswerter Verräter betrachtet wird, was beweist, dass Verrat genau wie Pornografie ein geografisches Problem ist.

Im April nützte ich mein Privileg als früheres Mitglied der Knesset, um an einer Sitzung des Knessetkomitees für "Verfassung, Gesetz und Justiz" teilzunehmen, in dem die Vanunu-Affäre diskutiert wurde. Im Laufe der Sitzung beschimpften Knesset-Mitglieder einander in der Sprache von Fischhändlern (wobei ich die Fischhändler nicht beleidigen will). Zwei Likudmitglieder, Ronie Bar-On (der einmal für ein paar Stunden als Staatsanwalt fungierte, bevor er schmachvoll abgesetzt wurde) und Yechiel Hazan schrieen, dass Vanunu keine Menschenrechte habe, da er kein Mensch sei. Es muss gerechterweise erwähnt werden, dass der Vorsitzende des Komitees, Michael Eytan, auch ein Likudmitglied, diese Äußerungen heftig verurteilte.

"Vanunu ist kein Mensch!"

Vanunu, der 1986 in einer britischen Zeitung einige Nukleargeheimnisse Israels enthüllt hatte, wurde bald danach vom Mossad entführt, nach Israel geschmuggelt und vor Gericht gebracht. Er hat seine Strafe von 18 Jahren Gefängnis abgesessen. Die meiste Zeit wurde er in totaler Isolation gehalten. [...]

Bei seiner Entlassung wurden ihm strenge Einschränkungen auferlegt: Es wurde ihm verboten, ins Ausland zu reisen, ohne vorherige Mitteilung an die Behörden sich innerhalb des Landes zu bewegen, mit Ausländern zu sprechen, Interviews zu geben. Der Oberste Gerichtshof hat diese Beschränkungen bestätigt. Vanunu hat die meisten übertreten - und vor einigen Wochen wurde er dafür angeklagt. Die Einschränkungen waren ihm zunächst für ein Jahr auferlegt worden. Das Knessetkomitee war dabei, die Möglichkeit zu diskutieren, sie zu verlängern.

Nationaler Notstand Vanunu

Aber ein paar Stunden vor der Sitzung unterzeichnete der Innenminister Ophir Pines (Labor-Partei) eine Order, die das Verbot, das Land zu verlassen, auf ein weiteres Jahr verlängerte. Und der Armee-Kommandeur der Heimatfront unterzeichnete eine Order, die die anderen Beschränkungen verlängerte (nach den Notstandgesetzen). [...] Man kann Vanunu nicht zum Schweigen bringen. Die ganze Welt ist an ihm interessiert. Und je mehr er verfolgt wird, um so größer wird das Interesse. Vanunu kann nicht abgeschreckt werden - er ist einfach nicht abschreckbar (um ein neues Wort zu prägen). Ganz im Gegenteil Es ist auch unmöglich, ihn daran zu hindern, Kontakt mit Ausländern aufzunehmen. [...]

Meine Meinung zum Wesentlichen dieser Sache: Atomwaffen sind eine Bedrohung für uns alle. Es ist auf Dauer unmöglich, die nukleare Aufrüstung in mehreren Ländern des Nahen Ostens zu verhindern - Iran zuerst. Andere Arten von Massenvernichtungswaffen (chemische und biologische) gibt es schon in den Nachbarländern. Seit Jahren hatte Israel das nukleare Monopol in der Region.

"Die Hybris unserer Führer"

Meine Freunde und ich warnten davor, dass dieses Monopol zeitbegrenzt sein werde und dass wir die Zeit nützen müssten, um Frieden zu erreichen. Die Hybris unserer Führer hat dies verhindert. Jetzt müsste es das Ziel sein, die ganze Region unter strenger internationaler und wechselseitiger Inspektion - als Teil eines umfassenden Friedensabkommens - von Massenvernichtungswaffen zu befreien. Das wäre möglich und ausführbar. Wenn Vanunu die Glocken läutet, dann hilft er mit, die Öffentlichkeit aufzuwecken.

Seine Aktion ist auch aus anderen Gründen wichtig: Er hat das erste Mal die Aufmerksamkeit der israelischen Öffentlichkeit auf die Gefahr gelenkt, die in dem 40 Jahre alten Reaktor steckt. Mehrere Angestellten dieser Anlage haben die Regierung verklagt. Sie behaupten, dass sie Krebs bekommen haben, weil es an Sicherheit mangelt. Was würde im Falle eines tschernobylartigen Unfalls passieren? Oder bei einem Erdbeben oder einem Raketenangriff? Wer denkt darüber nach? In wessen Verantwortung liegt dies? Wer überwacht diese Verantwortlichen? Vanunu läutet die Glocken, um auf diese Gefahr aufmerksam zu machen. Es geht nicht darum, ob er eine freundliche Person ist, ob seine Ansichten populär sind oder was er nach zwölf Jahren Einzelhaft über den Staat Israel denkt. Die Frage ist, ob er einen guten Job tut. Für dieses Mal meine ich, ja.

Der Autor ist israelischer Friedenaktivist. Aus dem Englischen von Ellen Rohlfs.

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