Verräter oder Held?

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Sein Land hat ihm Geldgier und politischen Fanatismus vorgeworfen und ihn eingesperrt - Mordechai Vanunu sagt, er sei zum Wohl Israels und aller Menschen zum Whistleblower geworden.

Achtzehn Jahre nach seiner Entführung durch Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad und anschließender Inhaftierung wird der Atomspion Mordechai Vanunu am Mittwoch dieser Woche aus dem Shikma-Gefängnis in Ashkelon entlassen. Die israelische Regierung befürchtet nun, dass ihr Atomprogramm mit der Freilassung des prominenten Häftlings erneut in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit gerät und die Rufe nach Abrüstung lauter werden. Um Kritiker der israelischen Atompolitik an Freudenfeiern mit ihrem Helden zu hindern, verhängten die Behörden eine Reihe von Auflagen: Vanunu darf nicht mit Ausländern sprechen oder ins Ausland reisen. Aus Sorge, er könne politisches Asyl beantragen, darf er sich keiner ausländischen Botschaft nähern.

Tragischer Rekordhalter

Vanunu, der im Atomreaktor Dimona in der Wüste Negev tätig war, hatte der britischen Zeitung Sunday Times 1986 Nukleargeheimnisse Israels verraten. Basierend auf seinen Beschreibungen und Fotos kamen Experten zu dem Schluss, dass Israel über das sechstgrößte Atompotenzial der Welt verfüge. Agenten entführten Vanunu und brachten ihn nach Israel. Dort wurde er in einem nicht öffentlichen Prozess zu 18 Jahren Haft verurteilt, von denen er zwölf in Einzelhaft verbrachte. Dies trug ihm sogar eine Erwähnung im Guinness-Buch der Rekorde ein.

Aber schon durch die Preisgabe von Israels Atomgeheimnis hat sich Vanunu seinen Platz in den Geschichtsbüchern gesichert: als einer bekanntesten wenn auch nicht erfolgreichsten Whistleblower der Welt. Whistleblower blasen, bildlich gesprochen, in die Trillerpfeife, wenn Gefahr droht: "Whistleblower sagen, was sie sehen, was andere nicht sehen, was andere nicht sehen wollen oder wegen ihrer Position nicht sagen dürfen", definiert Antje Bultmann von der Ethikschutz-Initiative Deutschland den Begriff: "Whistleblower sprechen aus, was nicht gerne gehört wird, aber unbedingt gesagt werden muss."

Adoptiveltern aus den USA

Vanunu erhielt Unterstützung von Atomwaffengegner in der ganzen Welt, ein älteres Ehepaar aus dem US-Staat Minnesota adoptierte ihn. In Israel genießt er kaum Sympathien. Viele Israelis glauben, dass Atomwaffen ihr letztes Verteidigungsmittel seien - "die letzte Garantie dafür, dass es keinen weiteren Holocaust geben wird". Israel reagierte auch deshalb mit aller Schärfe auf Vanunus Enthüllungen, weil sie der "Politik der Zweideutigkeit" zuwiderlaufen. Offiziell wird von Israel weder bestätigt noch dementiert, dass das Land über Atomwaffen verfügt. Beobachter glauben jedoch, dass Vanunus Äußerungen Israel sogar dienlich waren: "Keine Frage, er hat mehr als jeder andere zur israelischen Abschreckung beigetragen", meint der israelische Historiker Avner Cohen. Ägypten wiederum beklagte sich darüber, dass das israelische Waffenarsenal arabische und muslimische Staaten erst dazu angetrieben habe, ihre eigenen Atombomben zu entwickeln.

"Ich brach das Tabu"

"Ich brach das Tabu. Nun werden andere kommen. Niemand kann das verhindern", schrieb Vanunu im September 1987. Aber nur wenige kamen. Vanunus Enthüllungen bewirkten in Israel viel weniger, als er gehofft hatte. Er entfachte keine große Diskussion über die Atomfrage. Ohne dass sich die Regierung sehr bemühen musste, heilte die Tabuverletzung von allein. Vanunu mag sich einen Platz im internationalen liberalen Gewissen erobert haben. Die Israelis kanzeln ihn nach wie vor zum großen Teil als Landesverräter ab.

Ein gewohntes Schicksal für Whistleblower: Wann immer sich jemand entschließt, brisante Informationen über sein Land, seine Behörde, seine Firma an die Öffentlichkeit zu bringen, muss er oder sie sich auf einiges gefasst machen: Statt der erwarteten sachlichen Auseinandersetzung über das kritische Thema wird die Angelegenheit auf eine psychologisch individualisierende Ebene geschoben. Die fachliche Kompetenz und die Arbeitsleistung des "Verräters" werden angezweifelt. Er sei ein Störenfried, verhalte sich nicht loyal und gefährde die Arbeitsplätze seiner Kollegen. Viele Whistleblower werden gekränkt und gedemütigt, ihre Motive geleugnet und in den Dreck gezogen. Die vermeintlichen Störenfriede werden ausgegrenzt, unter Druck gesetzt, bedroht.

"Die Sache war es wert"

Auch Vanunu wurden Geldgier und politischer Fanatismus vorgeworfen und seine redlichen Motive in Frage gestellt. Doch der "Spion des kleinen Mannes", wie Vanunu auch genannt wird, war sich der Gefahr seines Handelns bewusst: "Die Hauptgefahr war, dass mein persönliches Leben an die Öffentlichkeit gezerrt und der Verleumdung preisgegeben würde, sowie meine Zukunftspläne geopfert werden mussten - aber die Sache war es wert. Ich folgte meiner eigenen Philosophie darüber, was getan werden musste, wie ein Mensch willig sein Leben opfern und riskieren sollte im Dienste einer Tat, die wichtig und nützlich für alle, für die Menschheit ist."

Seither folgten einige Vanunus Beispiel: Im Dezember 2001 wurde der russische Umweltschützer Grigorij Pasko zu einer Haftstrafe wegen "Spionage" verurteilt, weil er publik gemacht hat, dass die russische Marine im japanischen Meer Atommüll entsorgt. Der amerikanische Radiologe Asaf Duracovic´ verlor seinen Universitätsposten, nachdem er Beweise für die Gefährlichkeit der im Golfkrieg und im Kosovo eingesetzten Urangeschosse veröffentlicht hatte. Cynthia Fassbinder, Mitarbeiterin des Unternehmens Worldcom, deckte in ihrem Betrieb den größten Buchhaltungsbetrug in der US-Finanzgeschichte auf. Sie verlor ihren hochbezahlten Job.

Die Liste lässt sich noch beliebig fortsetzen, und sie wird immer länger - weil weltweit immer öfter Whistleblower Alarm schlagen, weil es weltweit immer wieder Menschen gibt, die so denken wie Mordechai Vanunu: "Ich entschied, es wie jemand zu halten, der sich für alle Angelegenheiten, von denen das Wohl des Landes abhängt, verantwortlich fühlt."

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