"Es wird keinen großen Ansturm von Arbeitnehmern geben“

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Die Auswirkungen der Öffnung des Arbeitsmarktes für Menschen aus den Beitrittsstaaten werden überschaubar bleiben, meint die Arbeitsrechtsexpertin Eszter Toth.

Eszter Toth ist Leiterin des Projekts IGR. Ihr Team berät ungarische Arbeitnehmer in Österreich. Toth über Hungerlöhne, existenzielle Ängste und den härter werdenden Verdrängungswettbewerb.

Die Furche: Sie leiten ein grenzüberschreitendes Gewerkschaftsprojekt und beraten seit Jahren ungarische Arbeitnehmer in Österreich. Wie kam es dazu?

Eszter Toth: Ungarische Arbeitnehmer können ja schon seit Jahren mit einer Beschäftigungsbewilligung nach Österreich kommen. Mit der Zeit häuften sich die arbeitsrechtlichen Probleme. So kam es zum grenzüberschreitenden gewerkschaftlichen Projekt. Betroffene sollten eine Anlaufstelle haben.

Die Furche: Von welchen Problemen sprechen Sie?

Toth: Etwa von Unterbezahlung: 3,50 Euro Stundenlohn in der Landwirtschaft sind keine Seltenheit. Im Gastgewerbe werden Betroffene oft als Teilzeitkräfte angestellt und arbeiten dann 60 Stunden pro Woche. Viele sind auch gänzlich illegal beschäftigt. Und dann gibt es noch die Härtefälle. Im Vorjahr sorgte etwa der Fall eines jungen Ungarn für Aufsehen, der sich bei der Weinlese im Seewinkel an der Hand verletzte. Behandelt wurde er erst nach Stunden, weil man ihn im Privat-Pkw über die Grenze brachte. Die Hand wird er nie mehr richtig benutzen können. Er hatte keine Arbeitsgenehmigung.

Die Furche: Warum tut man sich das an?

Toth: Der Vorteil einer Beschäftigung in Österreich ist in erster Linie ein finanzieller: Ungarn verdienen in der Heimat im Schnitt maximal ein Drittel der hiesigen Löhne, abhängig von der Branche. Gleichzeitig stiegen die Lebenserhaltungskosten. Das ist auch der Grund, warum viele Beschäftigte eigentlich überqualifiziert sind. Rund ein Drittel der im Burgenland beschäftigten Ungarn haben einen Matura- oder Uni-Abschluss. In der Landwirtschaft, wo vor allem Erntehelfer gebraucht werden, haben immerhin noch 22 Prozent der dort tätigen Ungarn Hochschulniveau.

Die Furche: Was wird sich ab Anfang Mai ändern?

Toth: Der Druck wird vor allem in den unqualifizierten Branchen zunehmen, im Burgenland sind das Saisonniers im Gemüse- und Weinbau. In diesen Bereichen, wo keine Sprachkenntnisse nötig sind, ist die Konkurrenz jetzt schon groß und wird noch zunehmen. Bislang war es so, dass eine befristete Arbeitsgenehmigung nach einem Jahr in eine unbefristete überging, was einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den "Befristeten“ bedeutete. Mit dem generellen Wegfall der Arbeitsgenehmigungen wird man als Unqualifizierter jetzt noch austauschbarer. Die größte Angst vor der Arbeitsmarktöffnung haben die hier arbeitenden Ungarn selbst.

Die Furche: Gibt es schon Tätigkeiten jenseits der burgenländischen Grenze, die einen Ansturm ankündigen?

Toth: In grenznahen Städten wie Sopron konnte man in den vergangenen Monaten eine rege Bautätigkeit wahrnehmen. Angeblich werden Wohnungen für Westungarn gebaut, die sich hier niederlassen und über die Grenze pendeln wollen. Und so mancher Angehöriger eines bereits hier arbeitenden Ungars wird versuchen, beruflich Fuß zu fassen. Generell weiß aber niemand genau, wie viele kommen werden, es wird auch keinen Ansturm am 2. Mai geben. Und den größten Konkurrenzdruck wird es, wie gesagt, in Branchen geben, die heimische Arbeitnehmer nicht sonderlich betreffen. Die größere Gefahr sehe ich bei Dienstleistungen, etwa in der Baubranche. Hier können ausländische Firmen ab Mai mit eigenem Personal antreten und werden versuchen, günstigere Anbote zu stellen als die heimische Konkurrenz. Wir haben gehört, dass in Ungarn auch die eine oder andere Veranstaltung für ungarische Unternehmer unter dem Motto "Auf nach Österreich“ stattgefunden hat.

Die Furche: IGR hat im Vorjahr über Tausende ungarischsprachige Beratungsgespräche im Burgenland durchgeführt, fast ausschließlich zu arbeitsrechtlichen Themen. Wie schwierig ist der Zugang zur Materie?

Toth: Sehr schwierig. Vor allem im unqualifizierten Bereich schweigen Betroffene aus Furcht vor Arbeitsplatzverlust und wollen nicht gegen den Arbeitgeber vorgehen. Manche wissen oft nicht einmal, wer ihr Arbeitgeber ist, weil die Belohnung über Mittelsmänner erfolgt. Zudem sind die Betriebe gut vernetzt. Wir kommen da nicht rein. Die Besitzer sind meist vorinformiert und drohen auch schnell mit Besitzstörungsklagen.

* Das Gespräch führte

Stefan Knoll

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