Gerechtigkeit statt Feudalismus

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Die ungleiche Verteilung von Erbschaften befeuert die dramatische Ungerechtigkeit in Österreich.

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Die ungleiche Verteilung von Erbschaften befeuert die dramatische Ungerechtigkeit in Österreich.

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Eine hart arbeitende Facharbeiterin, die brutto zirka 2600 Euro monatlich verdient, trägt mit rund 27 Prozent davon durch Steuern und Abgaben zur Finanzierung von Sozialstaat und Infrastruktur bei. Netto bleiben ihr nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge und Steuern zirka 1900 Euro übrig.

Gehört man allerdings zu jenen 40 Prozent der Bevölkerung, die in den Genuss von Erbschaften kommen, zahlt man keine Steuer – auch jenes eine Prozent nicht, dessen Erbschaften den Wert von einer Million übersteigen.

Der Bezug eines steuerfreien leistungslosen Einkommens in diesen Größenordnungen brachte schon die historischen Vertreter(innen) des ökonomischen Liberalismus auf den Plan. Adam Smith, einer der Begründer des Wirtschaftsliberalismus, fand es mit Blick auf die festgelegten Erbfolgen für den Grundbesitz absurd, „dass jede nachfolgende Generation von Menschen nicht den gleichen Anspruch auf die Erde habe“. Noch deutlicher drückte es Thomas Jefferson aus: Die Erde gehöre den Lebenden; jeder habe sich an der gleichen Startlinie aufzustellen.

Erst der Beitrag, dann die Privilegien

Die Proponenten des ökonomischen Liberalismus scheinen heute in Österreich rar geworden zu sein. Anderswo fordern sie eine höhere Besteuerung von Vermögen, von Erbschaften und Schenkungen und von Vermögenszuwächsen, weil sie der Meinung sind, dass sich sonst unproduktives Rentierverhalten durchsetzt. Diskutiert wird das überraschenderweise vor allem in den USA, wo vermögensbezogene Steuern jetzt schon zirka 12 Prozent des Steueraufkommens ausmachen – in Österreich sind es gerade einmal 1,5 Prozent.

In einer marktorientierten, offenen Gesellschaft, so das Credo, sollen Privilegien nur als Belohnung für den persönlichen Beitrag zu dieser Gesellschaft beansprucht werden können – im Gegensatz zu Aristokratie und Feudalismus, wo Privilegien, Status und Reichtum ererbt werden. Österreich gleicht in dieser Hinsicht leider viel mehr einer feudalen Gesellschaftsordnung, als einem System, in dem das eigene Glück vom Status der Eltern abhängt.

Das reichste Prozent besitzt hier bis zur Hälfte des gesamten Vermögens, die ärmere Hälfte der Bevölkerung nur vier Prozent. Der Hauptgrund dafür: die ungleiche Verteilung der Erbschaften.

Thomas Jefferson drückte es wie folgt aus: Die Erde gehöre den Lebenden; jeder habe sich an der gleichen Startlinie aufzustellen.

Die ökonomische Forschung kommt übrigens unabhängig von Gerechtigkeitsüberlegungen zu einer positiven Beurteilung von Vermögens- und Erbschaftssteuern: Sie gelten als besonders wachstumsfreundlich. Ein bislang weniger beachteter Aspekt betrifft deren Wirkung auf die Bereitschaft zu arbeiten.

So haben Ökonomen der Universität von München und Essex erst vor kurzem analysiert, dass Beschäftigte, in Erwartung hoher (steuerfreier) Erbschaften, weniger arbeiten. Dies ist angesichts des Mangels an Arbeitskräften in vielen Bereichen höchst problematisch. Gleichzeitig steigen die Erbschaften. Von derzeit rund 15 Milliarden steigt die Summe der jährlichen Erbschaften in den nächsten Jahren auf über 22 Milliarden Euro.

Plakativ ausgedrückt: Der Erbe, der steuerfrei ein Zinshaus in Wien erhält, kann, ohne einer Erwerbsarbeit nachgehen zu müssen, von den zuletzt exorbitant gestiegenen Mieteinnahmen prächtig leben – finanziert vom vergleichsweise hoch besteuerten Arbeitseinkommen der Facharbeiterin, die vom 16. bis zum 65. Lebensjahr tagein, tagaus einen wertvollen Beitrag für unsere Gesellschaft leistet.

Die Autorin ist Ökonom, war in der Oesterreichischen Nationalbank tätig und leitet seit Mai 2022 das Volkswirtschaftliche Referat des ÖGB.

Lesen Sie hier die Gegenposition von Lukas Sustala (NEOS).

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