"Nicht kaufen hilft nicht"

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Die Österreicherin Monika Kemperle ist seit Juni 2012 eine von drei stellvertretenden Generalsekretärinnen der internationalen Gewerkschaftsgruppe IndustriALL, die sich auch für die Interessen der Textil-und LederarbeiterInnen stark macht.

DIE FURCHE: Vor knapp einem Jahr, am 14. April 2013, brach in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, das 8-stöckige Fabriksgebäude "Rana Plaza" zusammen. Mehr als 1130 Menschen starben, 332 gelten noch immer als vermisst; es gab mindestens 2500 Verletzte. Eine der größten Katastrophen in der Geschichte der Textilindustrie.

Monika Kemperle: Schrecklich. Dabei hatten zuvor ArbeitnehmerInnen und lokale Gewerkschaften gewarnt, dass das Gebäude nicht mehr sicher ist. ArbeitnehmerInnen wurden mit Drohungen und Gewalt von Seiten der Eigentümer und Manager wieder ins Gebäude getrieben. Auch der Regierung von Bangladesch schien diese Tatsache, dass Gesetz und Wirklichkeit weit auseinanderklaffen, kein Grund dafür zu sein, um gesetzeskonforme Gebäudebauten oder Sicherheitsvorkehrungen einzufordern. Der Schutz der Investitionen stand (und steht) offensichtlich über dem Schutz der Menschen. Ich habe bald nach dem Unglück mit überlebenden ArbeitnehmerInnen gesprochen. Viele der Überlebenden haben schwere Verletzungen; ihre Beine oder Hände wurden abgetrennt, sie leiden unter Traumata. Eine wirkliche medizinische Versorgung und Betreuung fehlt bis heute.

DIE FURCHE: Haben die internationale Medienpräsenz und der Einsatz überregionaler Gewerkschaften etwas für diese Menschen bewirkt?

Kemperle: Doch, es hat sich in der Folge dieses schrecklichen Ereignisses dann einiges getan: Durch die Zusammenarbeit von IndustriALL Global Union mit den lokalen Gewerkschaften und durch Unterstützung von NGOs kam es zum sogenannten Brandschutzabkommen, welches mittlerweile mehr als 140 Marken (darunter H&M, C&A, Tchibo etc.) unterzeichnet haben. Dieses Abkommen, das für die Bekleidungsindustrie in Bangladesch gilt, ist zwar ein Abkommen, in dem es im Wesentlichen um die Feuer-und Gebäudesicherheit ("Fire and Buildung Safety Agreement") geht, aber es ist ein Vertrag, der für die Unterzeichneten bindend ist. Mit diesem Abkommen ist den Gewerkschaften ein Meilenstein gelungen.

DIE FURCHE: Nach dem schrecklichen Unglück in Bangladesch haben die Arbeitsbedingungen der Textilarbeiterinnen und -arbeiter kurz internationales Interesse erweckt. Seither arbeiten hunderttausende Frauen, insbesonders auch die sogenannten "Sumangalis" in Indien, aber weiter unter unmenschlichen Bedingungen.

Kemperle: Gerade in Indien werden unterschiedliche Namen und Bezeichnungen für diese Form der Ausbeutung verwendet, was uns Gewerkschaften das Vorgehen gegen Fabriken mit solchen "Anstellungsmöglichkeiten" erschwert. Doch wir arbeiten derzeit gemeinsam mit lokalen Partnern an einem Projekt, das genau diese Missstände bekämpfen soll.

DIE FURCHE: Wo muss man ansetzen, um die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie weltweit nachhaltig zu verbessern?

Kemperle: Das "Fire and Building Safety Agreement" in Bangladesch ist ein wesentlicher Schritt. Dennoch müssen wir weiter daran arbeiten, Marken daran zu erinnern, dass jeder Mensch ein Anrecht auf gefahrfreie und faire Arbeitsbedingungen hat. Die Offenlegung der Zulieferer und deren Kontrolle durch Auftraggeber und Gewerkschaft sind essentiell, um nachfolgenden Generationen die Möglichkeit einer besseren Zukunft zu bieten. Bestimmungen, die für uns in Europa zum Teil selbstverständlich sind, wie z. B. Schutzkleidung, müssen auch in diesen Ländern konsequent umgesetzt werden. Auch Umweltschutz muss ein wesentlicher Bestandteil bei der Vergabe von Aufträgen sein und die Kernarbeitsnormen sollten bei der Vergabe von Handelsverträgen ein verbindlicher Bestandteil der Verträge sein.

DIE FURCHE: Wie viel Druck kann und soll von den Konsumenten kommen?

Kemperle: Konsumenten spielen eine wichtige Rolle in diesem Gefüge. Den Kauf zu verweigern hilft den ArbeiterInnen nicht. Die Nachfrage aber, woher das Shirt kommt und unter welchen Umständen dieses produziert wurde, führt zu einer Sensibilisierung sowohl bei den Marken als auch beim Kunden selbst. Konsumenten haben ein Recht darauf zu wissen, was sie kaufen. Sie müssen dieses Recht allerdings auch einfordern.

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