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Kleinere Gemeinden grofere Suglingssterblichkeit

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Die Bemühungen, unsere bevölkerungspolitische Lage zu verbessern, haben zwei Ansatzpunkte; einerseits soll zumindest eine Stabilisierung der Geborenenzahl erreicht, anderseits alles unternommen werden, um das Leben der Neugeborenen zu schützen. Schon vor fast 40 Jahren hat der bekannte deutsche Statistiker Prof. Dr. Burgdörfer darauf hingewiesen, daß es bevölkerungspolitisch nicht auf eine optische Geburtenhäufigkeit ankomme, sondern auf den „bleibenden Erfolg an lebens- und arbeitstauglichem Aufwuchs“.

Bekanntlich haben die Fortschritte der medizinischen Wissenschaft im Verein mit der Hebung des Lebensstandards der breiten Massen und dem steigenden sozialen Verantwortungsgefühl in Staat und Gesellschaft in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts die Sterblichkeit in beachtlichem Maße herabgedrückt. Während die durchschnittliche Lebenserwartung eines lebendgeborenen Knaben in Oesterreich nach den Sterblichkeitsverhältnissen 1900/05 rund 39 Jahre betrug, hat sie sich nach den Berechnungen von 1949/51 seither um 23 Jahre erhöht; noch prägnanter ist der Gewinn für das weibliche Geschlecht, denn die Lebenserwartung eines lebendgeborenen Mädchens ist von 41 Jahren auf 67 Jahre angestiegen. Es war besonders die Sterblichkeit im ersten Lebensjahr, die ia einem vor 50 Jahren für unmöglich erachteten Ausmaß abgesunken ist. Während im Durchschnitt 1900/04 zirka 21 Prozent der Lebendgeborenen im ersten Lebensjahr hin weggerafft wurden, waren es 50 Jahre später nur 5 Prozent. Die Säuglingssterblichkeit ist also auf ein Viertel der Höhe ihres Standes zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurückgegangen!

Unsere Aufgabe ist also die weitere Senkung einer bereits relativ niedrigen Säuglingssterblichkeit. Damit treten folgende Fragen in den Vordergrund.

1. Lassen sich weitere „Einsparungen“ erzielen?

2. W i e groß ist die Streuung des Ausmaßes der Säuglingssterblichkeit innerhalb Oesterreichs und wo ist sie überdurchschnittlich hoch?

Zur Beantwortung der ersten Frage ist die folgende internationale Uebersicht herangezogen.

Gestorbene Säuglinge Länder auf 1000 Lebendge-

borene im Jahre 195i

Jugoslawien 102

Portugal 86

Ungarn 61

j Italien • 53 ' Spanien .52

Belgien 49

Oesterreich 48

Westdeutschland 43

Irland 41

Frankreich 37

Tschechoslowakei 37

Finnland 31

Großbritannien 31

Schweiz 28

Dänemark 27

Norwegen 24

Niederlande 21

Schweden 19

Die meisten west- und mitteleuropäischen Länder weisen eine niedrigere Säuglingssterblichkeit als Oesterreich auf. so daß eine weitere Verringerung dieser wohl möglich ist.

Unser Hauptaugenmerk muß sich auf die Beseitigung der lokalen Unterschiede in der Höhe der Säuglingssterblichkeit richten. So sei darauf hingewiesen, daß in Gemeinden mit bis zu 500 Einwohnern rund 6 Prozent der Lebend-geborenen im ersten Lebensjahr sterben, in Gemeinden mit 10.000 bis zu lOO.OOO Einwohnern dagegen 4,5 Prozent. Wenn man von Wien absieht, nimmt mit abnehmender Gemeindegröße die Säuglingssterblichkeit zu.

In der folgenden Zusammenstellung sind die

politischen Bezirke mit einer verhältnismäßig

hohen Säuglingssterblichkeit angeführt, wobei

unserer Berechnung der Durchschnitt der Jahre

1951/1953 zugrunde gelegt wurde.

Gestorbene Säuglinge

Bezirke auf 1000 Lebendgeborene

Ried im Innkreis (OOe) 88

Zwettl (NOe) 82

Güssing (Bgld) 80 Waidhofen a. d. Ybbs-

Stadt (NOe). 77

Braunau am Inn (OOe) 76

Jennersdorf (Bgld) 75

Melk (NOe) 74

Oberwart (Bgld) 72

Schärding (OOe) 70

Im Bezirk Bludenz (Vorarlberg) belief sich dagegen die Säuglingssterblichkeit auf 3,5 Prozent.

Man unterscheidet bei der Säuglingssterblichkeit zwei große Gruppen, nämlich die im allgemeinen auf endogene Lirsachen zurückzuführenden Sterbefälle im ersten Lebensmonat, die nur schwer zu beeinflussen sind, und die Sterbe-

fälle nach dem ersten Lebensmonat, die vorwiegend durch die Umwelt bedingt, sich durch die wirtschaftlichen, sozialen und medizinischen Fortschritte leichter vermindern lassen.

In nachstehenden Bezirken entfallen zum Beispiel bis zu 50 Prozent der Sterbefälle von Säuglingen auf das zweite bis zwölfte Lebensmonat:

Von 100 gestorbenen Politischer Säuglingen starben

Bezirk 1951/53 nach dem

ersten Lebensmonat

Oberpullendorf (Bgld) 5 5

Jennersdorf (Bgld) 54

Mattersburg (Bgld) 54

Melk (NOe) 51

Leoben (Stmk) 51

Güssing (Bgld) 50

Mistelbach (NOe) 50

Deutschlandsberg (Stmk) 50

Es darf angenommen werden, daß in diesen Bezirken die Säuglingsfürsorge noch schöne Erfolge zeitigen wird.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß zwar die Säuglingssterblichkeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beträchtlich gesenkt werden konnte, aber noch eine weitere Verbesserung auf Grund der Erfahrungen in anderen Ländern wohl realisierbar sein dürfte Die Beseitigung der regionalen Linterschiede im Ausmaß der Säuglingssterblichkeit muß unsere dringlichste Aufgabe sein!

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