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"Entwurf: Bildung - Zwischen Wahrheit und Nützlichkeit": Zuletzt kamen im Stift Melk der Ulmer Erziehungswissenschafter ulrich herrmann und der ungarische Religionssoziologe andrás máté-tóth zusammen, um über Bildungsfragen zu diskutieren.

Auf keinem Feld ist die Sprache der Politik so schwer erträglich, wie wenn es um Erziehung, Bildung, Wissenschaft und Forschung geht", diagnostizierte Anfang dieses Jahres Jan Ross in der Zeit; die einschlägigen Debatten seien gekennzeichnet von einem "Plastikjargon, in dem sich sozialistischer Planungsglaube und kapitalistisches Effizienzstreben merkwürdig zu verbinden scheinen".

In diesen Worten bündelt sich etliches von dem Unbehagen, das Beobachter der laufenden Bildungsdiskussion vielfach empfinden. Begriffe und Schlagworte schwirren einem nur so um die Ohren, von "Bildungsstandards" (s. Seite 5), "Schulautonomie", "Oberstufenreform" ist die Rede, von "Ganztags-" und "Gesamtschule", von "Begabtenförderung" und "sozialem Lernen" - und zur Untermauerung der jeweiligen Argumente beruft man sich auf "PISA" und streut "Finnland" ins Gespräch ein.

Bildung für den Standort?

Zwischen all den Phrasen aber, so der unangenehme Verdacht, lasse sich ein genereller Trend erkennen: dass die Ökonomisierung aller Lebensbereiche mehr und mehr auch die Bildung zu erfassen drohe. "Ausbildung statt Bildung" heißt das dann, auf eine griffige Formel gebracht. Taugt Bildung nur noch als Standortkriterium? Diktiert die Wirtschaft, was Bildungsziele sind - anstatt dem Drang nach Wissen die finanzielle Basis zu sichern?

Solche und ähnliche Fragen bildeten den Rahmen für den letzten Abend der Reihe "Entwurf: Zukunft" über Bildung. "Zwischen Wahrheit und Nützlichkeit" lautete denn auch der Untertitel, leise suggerierend, dass die Nützlichkeit der Wahrheit längst den Rang abgelaufen habe. Doch was ist "Wahrheit"? András Máté-Tóth, Religionswissenschafter an der Universität Szeged, geht ganz grundlegend an die Sache heran: Die festgefügte Ordnung der Wahrheiten sei unwiderruflich obsolet, Wahrheit müsse heute "existenziell und kontextuell" gedacht werden. Was das heißt, erläutert Máté-Tóth am Beispiel eines Besuchs der Rembrandt-Ausstellung in der Wiener Albertina: Fasziniert sei er vor einem Gemälde des flämischen Meisters gestanden, mit der Zeit habe er dann die anderen Besucher wahrgenommen, junge, bunt gekleidete Frauen, die sich angeregt unterhielten. Die "Wahrheit" des Meisterwerks wurde gewissermaßen durch eine andere ergänzt: jene der Spannung zwischen der Rembrandt'schen Frau und ihren heutigen Geschlechtsgenossinnen...

Der Wahrheit stellt Máté-Tóth nicht die Nützlichkeit, auch nicht die Lüge, sondern den Kitsch gegenüber: Kitsch als Schutz vor der "harten, manchmal unerträglichen Wirklichkeit", um "Unsicherheiten über sich selber und über die Wahrheit zu verschleiern". So verstanden erscheint Kitsch als eine Dimension menschlicher Existenz: "Wenn man Kitsch leugnet, wird man kitschig."

Standards für Bildung?

Diesen Satz dürfte auch der Pädagoge Ulrich Herrmann von der Universität Ulm unterschreiben können. Auch bei ihm ist deutlich die Skepsis gegenüber allgemeinen, kontextlosen Wahrheiten erkennbar. Heruntergebrochen auf sein angestammtes Metier, die Erziehungswissenschaften, bedeutet dies eine sehr kritische Haltung etwa zu Lehrplänen, Bildungsstandards oder auch zum Begriff der "Allgemeinbildung". Letztere nennt Herrmann gar ein "epochales Missverständnis" und spricht von der "Halbbildung des Bildungsbürgers". Herrmann verweist auf den "ursprünglich anthropologischen Sinn" von Schule und Unterricht, "die menschlichen Kräfte zu fördern, damit die Individualität zum Vorschein komme".

Herrmanns Verdikt: "Das Reproduzieren von Kenntnissen und Fertigkeiten, in Lehrplänen kodifiziert (die man heute irreführend Bildungspläne' nennt), ersetzt die ursprüngliche Idee der Aneignung von kognitiven Strukturen, mit deren Hilfe Sachverhalte verstanden und erklärt, gedeutet und bewertet werden können". Dieser Satz jedenfalls dürfte sowohl wahr als auch für pädagogische Debatten nützlich sein. Rudolf Mitlöhner

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