Alt und jung ist relativ

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Unlängst ist mir "der alte Goethe" begegnet! Nein, weder im Traum auf einer Straße in Weimar noch als Filmfigur auf der Esplanade eines böhmischen Kurorts. Auch nicht als Station einer virtuellen Zeitreise, sondern bloß als Zitat in einem Essay. Warum ist diese gängige Formulierung überhaupt der Erwähnung wert? Weil sich dahinter - genau genommen - drei Lesarten verbergen.

Es kann sich (wie in diesem Fall) um den Dichter in seinen späten Lebensjahren handeln. In anderem Kontext müsste der Leser zwangsläufig an Goethes Vater denken, von dem der Poet nach eigenen Worten "die Statur" und "des Lebens ernstes Führen" geerbt hat. In einem theoretischen Text aber könnte "der alte Goethe" als typischer Vertreter einer Epoche gelten, die uns nur noch über vermittelnde Deutung zugänglich ist.

Bei einem früh verstorbenen Künstler wie Mozart reduzieren sich solche Verständnisfragen. So wird mit "der alte Mozart" wohl immer Vater Leopold gemeint sein. Es sei denn, man ärgert sich über die allgegenwärtige kommerzielle Berieselung mit der "Kleinen Nachtmusik".

Alt und jung regen aber zu weiteren Betrachtungen an. So fragt sich mancher, warum ein älterer Mensch für jünger gilt als ein alter. In diesem Fall relativiert die Steigerungsform die absolute Bedeutung des Adjektivs. So mag es einem auch nach einer Krankheit zwar schon besser, aber noch nicht wieder gut gehen.

Andererseits kann sich alt auch bloß "neutral" auf ein Lebensalter beziehen. Damit aber wird die sprachliche Pointe möglich, dass ein angehender Star erst "20 Jahre jung" sei.

Bisweilen verschmilzt die Eigenschaft mit ihrem Substantiv zu einer festen begrifflichen Einheit. Wer etwa im Gasthaus nach dem "jüngsten Gericht" verlangt und damit eine ganz frische Speise meint, darf im besten Fall als Witzbold gelten, aber nicht mit entsprechender Bedienung rechnen.

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