Americanitis austriaca

19451960198020002020

Vom Mega-Event in der City heim mit der Nightline. Wider die Pseudo-Modernisierung der Sprache. Eine Polemik.

19451960198020002020

Vom Mega-Event in der City heim mit der Nightline. Wider die Pseudo-Modernisierung der Sprache. Eine Polemik.

Werbung
Werbung
Werbung

Wissen Sie, was "Swatch Soul City Vienna 97" war? Natürlich: Ein Snowboard-Event als Silvester-Contest. Was hier passiert, ist fürwahr ein "Ereignis": Ein sprachliches in erster Linie, ein linguistischer Mega-Event (oder das Event - wer weiß das schon genau). Genauer besehen, scheint die Überschwemmung unserer Sprache mit Anglizismen und Amerikanismen ein Mega-Crash zu sein. Denn es gab zwar schon seit Jahrzehnten Lehnwörter im Deutschen, doch seit wenigen Jahren wird in Österreich immer intensiver und aggressiver mit englischen oder pseudo-englischen Begriffen Werbung gemacht.

Was bisher deutsch war, muß englisch werden, und so wird aus Auto-Teilen Österreich Austrian Carsharing, aus dem Stephansplatz die City, von der Sie nicht etwa mit dem Nachtbus heimfahren, sondern mit der Nightline (falls Sie in Meidling wohnen: näädllään]). Denn hippige Early-morning-dates gehören einfach zum Lifestyle. Noch Fragen? Dann machen Sie doch einen Call, denn es gibt zwar kaum mehr Telephone, dafür aber jede Menge Hotlines!

Eine deutsche Firma feiert "150 years Krups" (soll ich sagen: kraps?) und bietet eine Thermoskanne mit dem klangvollen Namen Compac Therm Steel an oder eine Personenwaage namens Fitness Fantasy. Phantasievoll, fürwahr. Leider ist der Schnellrührstab den Image Designern entgangen, aber wie wäre es mit SpeedMixMax?

Daß die Wortkombinationen oft keinen Sinn mehr tragen, keine Bedeutung mehr vermitteln außer nacktem Pathos, das durch lockere Assoziation dem Produkt Gefühlswerte verleiht, zeigt das Beispiel eines Uhrenherstellers, der eine Sportuhr bewirbt mit dem Schriftzug: "Team Sector No Limits".

Um einem Mißverständnis zuvorzukommen: Der Autor dieser Kritik liebt die englische Sprache sehr. Doch das sich ausbreitende Kauderwelsch ist in Lebensbereichen, die keine technische Fachsprache benötigen, wie etwa bei Computern, eher lächerlich. Zumal oft keiner weiß, wie es auszusprechen ist. Etwa das Euro-Kauderwelsch: Nehmen Sie den Euronight auf englisch [ju:rounait] oder als Mischform [oironait] oder einfach als ööronääd?

In Deutschland greift der sprachliche Virus langsamer an, die Italiener haben nicht einmal Handies (austrifiziert: Handys), sondern süße kleine telefonini. In Frankreich wacht gar die Academie Francaise über die sprachliche Reinheit. Die epidemische Ausbreitung in Österreich hingegen läßt vermuten, daß dahinter ein Minderwertigkeitsgefühl stecken könnte, eine Angst, als Globalisierungsbremse zu wirken. Die sich anbiedernde Pseudo-Modernisierung wäre demnach eine wesentlich endogene Americanitis. Weiß Gott, die Amerikaner können nichts dafür. Mit Ausnahme von Bill Gates.

Die ethische Frage nach den sozialpsychologischen Folgen des Phänomens mag auf den ersten Blick skrupulös erscheinen, doch ist es bei allen beschleunigten Modernisierungsversuchen üblich geworden, eine breite Bevölkerungsschicht zu verdrängen: die älteren Menschen. Der (übrigens junge) Kritiker fragt: Wie geht es denen in unserer Gesellschaft, die vielleicht nie die Chance hatten, Englisch zu lernen? Oder jenen, die nicht jeden Monat neue Vokabel lernen wollen? Sie werden aus der Sprachgemeinschaft Stück für Stück verdrängt. Immerhin wären sie als Konsumenten doch noch interessant - wenn auch nicht für Snowboards. Doch vielleicht soll man genau jene Dinge kaufen, die man nicht versteht?

Jedoch ist die deutsche Grammatik nicht ganz wehrlos. Bei den Verben fügt sie elegante Vorsilben oder Endungen hinzu, sodaß das Snowboarden oder Anpagen schließlich auch sprachlich fun macht. Spätestens beim Partizip Perfekt Passiv rächt sie sich. Haben Sie schon einmal rivergeraftet? Die Americanitis austriaca ist geoutet.

Egal, ob Sie jetzt geshocked oder geschockt sind: Wenn Ihnen das Kauderwelsch zu viel wird, kaufen Sie sich einfach bei der ÖBB ein City Star-Ticket. Sodann lassen Sie sich, im Zug entgleitend, entspannt verwöhnen von dem internationalen Flair: Di Ostrian federel reelwees wellkams juu on boad of se drän...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung