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Warum Thomas Bernhards einstiges Skandalstück "Ein Fest für Boris" in Salzburg nicht mehr weh tut und die "Jedermann"-Paraphrase ersatzlos entsorgt wird. Von Cornelius Hell

Das Stück sollte 1966 bei den Salzburger Festspielen aufgeführt werden, doch denen erschien "der Inhalt für eine sommerliche Festspielaufführung zu düster". So wurde das intensiv umgearbeitete Ein Fest für Boris 1970 im Hamburg unter Claus Peymann uraufgeführt und zum Anfang der Zusammenarbeit der beiden. Jürgen Flimms Inszenierung 1973 in München bedeutete wohl den endgültigen Durchbruch des Stückes. 34 Jahre später wird es unter seiner Intendanz nun endlich in Salzburg aufgeführt - und der einst befürchtete Skandal ist schlichtweg unverständlich. Das liegt nicht nur daran, dass Bernhard ein Klassiker geworden ist, sondern schlicht an der missglückten Inszenierung von Christiane Pohle.

Auf der Drehbühne des Salzburger Landestheaters (Bühne: Annette Kurz) kreist ein einsames Fauteuil, darüber ziehen zwei Luster ihre sinnlosen Bahnen. So muss man ablenken, wenn der rasende Stillstand der Bernhardschen Monologe sich nicht (in dem von ihm vorgesehenen leeren Raum!) aus der Sprache vermittelt. Die beiden Vorspiele werden über die Maßen zerdehnt - vor allem mit verschiedenen Interpretationen von Richard Wagners Wesendonk-Liedern - dafür wird das titelgebende Fest schnell heruntergespult. Die Hauptrolle der "Guten" verkörpert die holländische Starschauspielerin Viviane de Muynck - ihr flämischer Akzent vernuschelt den Text "als wäre Vorabend auf RTL" (Paul Jandl in der NZZ). Die Rolle der Johanna, Bedienstete und Vorleserin, wird bei Nadine Geyersbach zum "Selbstdemütigungskitsch einer Unterwerfungssüchtigen" (Gerhard Stadelmaier in der FAZ) - genüsslich könnte man weitere Verrisse namhafter Medien zitieren.

Wer Marianne Hoppe in ihrer Glanzrolle der Mutter in Bernhards Am Ziel bei den Salzburger Festspielen 1981 erlebt hat, der weiß, wie die Gute und Johanna zu sprechen und zu agieren hätten. Doch Halt! Ist hier nicht eine österreichisch-deutsche Aufführungspraxis übermächtig geworden? Wenn man sieht, wie die lahme Matrone statt der von Bernhard vorgesehenen Handschuhe und Hüte Strümpfe und Schuhe auf ihren Armen probiert, begreift man, dass aus einem unbekümmert neuen Zugang zum Stück eine Sternstunde hätte werden können. Doch spätestens wenn Johanna ihre Peinigerin umarmt und küsst, ist klar: Hier überwuchert Psycho-Kitsch den Bernhard-Text.

Und beim abschließenden Fest sitzen nicht verstümmelte Krüppel, sondern lümmeln Lahme Zigarren rauchend in Fauteuils herum: "verfettete Wohlstandsbürger, die sich selbst feiern" (Frankfurter Rundschau). Das Stück freilich ist nicht allein dadurch verstümmelt, sondern vor allem durch den geänderten Schluss: Boris stirbt nicht eines plötzlichen rätselhaften Todes (Überfressen? Erregt durch seinen Pauken schlagenden Protest?), sondern will unbedingt auf die Beine kommen. Dabei zeigt Thomas Wodianka bewundernswerte Akrobatik, die am Stück vorbeitanzt, und wird schließlich von Johanna, mit der ihn ein Liebesverhältnis verbindet, erwürgt. Da kommen der Guten, schluchz, doch glatt die Tränen.

Boris war ja ihr Geschöpf, sie hat ihn aus dem Asyl "herausgeheiratet" - ihn, den erbärmlichsten und hässlichsten, wie es sich für eine richtige Wohltäterin gehört. Doch Wodianka ist als Boris ein junger Feschak. Und zum Geburtstag bekommt er, der (bei Bernhard) Beinlose, keine Reitstiefel, sondern eine Balkan-Combo spielt für ihn auf, und die ehemaligen Kollegen aus dem Asyl grölen "Happy Birthday". Da bleibt einem nur das, was die Gute am Schluss bei Bernhard hätte tun sollen: in fürchterliches Gelächter ausbrechen.

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