Das große Rock'n'Roll-Konzert der Wende

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So kam der Punk auch nach Rauris, zumindest das Gespräch über ihn und seine Rolle vor der "Wende": Jaroslav Rudis war Gast bei den Rauriser Literaturtagen und sprach mit Studierenden über Musik und Politik und wie alles mit allem zusammenhängt. Eine Nachlese.

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So kam der Punk auch nach Rauris, zumindest das Gespräch über ihn und seine Rolle vor der "Wende": Jaroslav Rudis war Gast bei den Rauriser Literaturtagen und sprach mit Studierenden über Musik und Politik und wie alles mit allem zusammenhängt. Eine Nachlese.

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Es ist eine gute und auch beim Publikum sehr beliebte Tradition bei den Rauriser Literaturtagen, dass Studierende aus Österreichs Germanistikinstituten im Gasthof öffentliche Gespräche mit ausgewählten Autoren führen. Die Studierenden der Wiener Universität bereiteten sich dieses Jahr unter der Leitung von Günther Stocker auf das Werk des tschechischen Autors Jaroslav Rudis vor und stellten Rudis Fragen, ausgehend von seinem Roman "Vom Ende des Punks in Helsinki".

DIE FURCHE: In Ihrem Roman wollte Frank nach der "Wende" Geschichte studieren. Statt dessen erschafft er ein Tischfußballspiel, bei dem die Figuren verschiedene Persönlichkeiten der Weltgeschichte darstellen. "Alles hängt mit allem zusammen", dieses Motiv findet sich auch in anderen Romanen von Ihnen wieder. Hat Ihr Erleben der Wende diesen Gedanken geprägt?

Jaroslav Rudis: Ja, vielleicht ist das wirklich ein Thema von mir. Ich habe Geschichte studiert und bin fasziniert von dieser Geschichte, die uns alle in Mitteleuropa im Griff hat und nicht loslässt. Immer wieder taucht das in meinen Büchern auf. Einmal wurde mir in einer Bar eine Geschichte erzählt über einen Mann, der versucht hat, die Weltgeschichte mit dem Tischfußball zusammenzubringen, und dann habe ich das so weitergespielt. Man hat Figuren, 22 Weltpersönlichkeiten, die man miteinander oder gegeneinander spielen lassen kann. Und am Ende stellst du fest, alles hängt mit allem zusammen, es gibt keinen Ausweg, wir sind verloren in dieser Geschichte.

DIE FURCHE: Als in Berlin 1989 die Mauer fiel, waren Sie ungefähr gleich alt wie die Protagonisten in Ihrem Roman.

Rudis: Für mich war diese Zeit der Wende ein klasses Rock'n'Roll-Konzert. Ich wollte das Buch über die Kraft der Musik und des Rock'n'Roll vor der Wende schreiben, denn das war einer der wenigen Zufluchtsorte, wo man sich irgendwie frei gefühlt hat. Es gibt einige Bands, die verhaftet wurden in der Tschechoslowakei, aber auch in der DDR oder in Polen, nur wegen des Musikmachens, und die in der Psychiatrie oder im Knast gelandet sind. Wir sagen in der Tschechoslowakei auch nicht "Die Wende", wir sagen "Die samtene Revolution". Das kommt interessanterweise aus dem Englischen "The Velvet Revolution" und das ist eine Anspielung an "The Velvet Underground", die großartige Rock'n'Roll-Band von Lou Reed. Václav Havel war ein großer Fan dieser Band. Eine tschechische Band, "The Plastic People of the Universe", wurde 1976 verhaftet wegen des Rock'n'Roll, für die war "The Velvet Underground" die Vorbildband. Wegen dieser Verhaftung ist die Bürgerrechtsbewegung Charta 77 entstanden, das hängt in der Tschechoslowakei sehr zusammen.

DIE FURCHE: Wenn man so 16,17 Jahre alt ist, merkt man dann, dass Weltgeschichte geschrieben wird oder ist das persönliche Erleben mit Musik und Freunden wichtiger?

Rudis: Auch das hängt alles zusammen! Meine erste Westreise ging nach Wien, im Dezember 1989, und das war auch mit Musik verbunden. Plötzlich war alles möglich. Die Rolling Stones kamen 1990 nach Prag. Das war toll und geil. Und in Prag ist eine tolle Club-und Musikszene entstanden. Dieses Rock'n'Roll-Konzert der Wende dauerte fünf, sechs Jahre -das ist auch ein Thema meines anderen Buches, "Die Stille in Prag". Danach mussten einige der Clubs plötzlich schließen, plötzlich gab es etwas, was es vorher nicht gab, Lärmschutz und so, und dann war es vorbei mit Rock'n'Roll. Die Rock'n'Roll-Konzerte durften nur mehr bis zehn Uhr stattfinden und danach hieß es, schön schlafen gehen. Das war das Ende der Wende, finde ich, Ende der Neunziger in Prag. Einige kennen Prag, die Stadt, wo ich sehr lange gelebt habe. Das ist jetzt schon eine ganz andere Stadt, sehr langweilig, westlich, ruhig, finde ich.

DIE FURCHE: Es gibt einen Nebendarsteller, der sich am Ende als Erzähler der Geschichte entpuppt. Welchen Zweck hat diese Verkehrung am Ende?

Rudis: Ich wollte ein sehr wildes punkiges Buch über das Jahr 1987 in der Tschechoslowakei schreiben. Über das Konzert der "Toten Hosen", wo viele Punks aus der Tschechoslowakei, der DDR und Polen hingereist sind, und das mit einer Schlägerei und Verhaftungen endete. Das war ein wichtiges Ereignis. Ich wollte dieses Buch über dieses Konzert und über Nancy, die Hauptfigur, schreiben. Und dann dachte ich, wie wäre es, wenn da noch eine Figur dazukommt, ein Mann, ein Deutscher, der da auch war. Wie wäre das, wenn jemand mit Abstand, so um die Vierzig, sich ansieht, was damals passiert ist und was aus ihm geworden ist. Dann kam noch die Geschichte von seiner Tochter dazu, Punk von heute, diese schwarzen zwanzig Seiten, sehr düster, sehr brutal geschrieben. Und dann kam dieser vierte Twist. Erst ganz am Ende dachte ich, das ist eine schöne Entfremdung, das könnte auch deine Geschichte sein, meine Geschichte sein.

Vom Ende des Punks in Helsinki Roman von Jaroslav Rudis Übers. von Eva Profousová Luchterhand Literaturverlag 2014 352 Seiten, kart., € 15,50

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